Lore Oschinski

* Geboren 12. August 1923 (Berlin) - Gestorben 5. April 1997
Lore wird 1923 in Berlin geboren und wächst behütet in einer nicht religiösen jüdischen Familie auf. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 leidet sie unter der immer stärker werdenden Ausgrenzung und antijüdischen Gesetzgebung. Im Februar 1939 beschließen ihre Eltern, die 16-Jährige mit einem Kindertransport in Sicherheit zu bringen. Nach ihrer Ankunft in England wird Lore der Spionage verdächtigt und zunächst interniert. Später absolviert sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und Hebamme. Auch ihrer Mutter gelingt die Flucht nach England. Lores Vater nimmt sich 1942 in Berlin das Leben, um einer Deportation in das Ghettolager Theresienstadt zu entgehen.
  • 12. August 1923
    Geburt
  • 10. Februar 1939
    Kindertransport
  • 30. Mai 1940
    Internierung
  • 9. August 1942
    Selbstmord des Vaters
Symbolbild für Lore
Kapitel 1
Lore lag gerne unterm Johannisbeerstrauch und ließ sich die Beeren schmecken.

Die Sonne schien. Lore und ihr Vater Richard waren im Garten. Obwohl sie in Berlin lebten, war der kleine Garten nahe ihrer Schöneberger Wohnung eine wahre Oase mitten im Lärm der geschäftigen Großstadt. Es war nicht nur die Ruhe dort, die Lore liebte. Sie mochte es auch, richtig anzupacken. Tatkräftig grub sie mit einem Spaten die Erde um. Ihr Vater saß auf einem schmalen Holzstuhl und beobachtete sie. Das zehnjährige Mädchen schleppte gerne schwere Spaten durch die Gegend und dreckte sich mit Schlamm ein.

Die mögliche Geschichte eines Fotos
Lore und ihr Vater Richard
Lore mit ihrem Vater, Richard Oschinski, in ihrem Garten, aufgenommen im August/ September 1932 in Berlin-Schöneberg. Wo sich der Garten der Oschinskis genau befand, ist heute unklar.

Dann erhob sich ihr Vater, um ihr dabei zu helfen, den ausgegrabenen Johannisbeerstrauch an die richtige Stelle zu hieven.

Gerade als sie damit fertig waren, erschien Lores Mutter Herta im Garten. Sie hielt einen Lederkoffer in der Hand. »Lorekind, Lorekind, rate mal, was ich hier habe?« Voller Begeisterung stürzte sich Lore auf den Koffer und löste die Schnalle aus Metall. Sie blickte auf eine rechteckige schwarz-silberne Box mit einem runden Stück Glas auf der Vorderseite: Ein echter Fotoapparat!

Herta, Lores Mutter, war gelernte Fotografin. Sie nahm die neue Kamera heraus und forderte Lore auf, sich neben ihren Vater an den Holzstuhl zu stellen. Lore legte den Arm um ihren Papa, schaute ihm ins Gesicht und lächelte. Es blitzte und ein Klick war zu hören. »Im Kasten«, rief ihre Mutter zufrieden, »nun kannst du eine wohlverdiente Pause machen!«

Die Sonne brannte auf sie nieder, als sich Lore neben den frisch umgesetzten Strauch legte und eine schwarze Johannesbeere von der Rispe pflückte. Umgeben von der wohligen Wärme, die von ihren Eltern ausstrahlte, erschien ihr der Geschmack der Beere zuckersüß.

Ihre Eltern liebten sie von ganzem Herzen

Auf diesen Fotografien siehst du die kleine Lore mit ihren Eltern. Lores Vater, Richard Oschinski, war älter als Lores Mutter Herta. Als sie 1922 in Königsberg heirateten, war Herta 21 Jahre, Richard 45 Jahre alt. Fast genau neun Monate nach ihrer Hochzeit, am 12. August 1923, kam Lore auf die Welt.

Lore als Baby mit ihrem Vater
Babyfoto von Lore
Foto von Lore als Baby mit ihrer Mutter
Lores Geburtsurkunde

Noch mehr Familie – ein Fotoalbum

»Meine liebe Lore, heute hat dir Leo [Onkel Leo, der Bruder von Tante Margot] ein Paket gesandt mit, wie ich glaube, viel mehr Süßigkeiten als sonst. Wir danken Dir sehr für Deine Postkarte. Ich habe auch angefangen Tennis zu spielen, und ich hoffe, wir können bald einmal zusammen spielen. Viele Grüße an Dich und an Mrs Kohn, Deine Margot«

Lore wurde nicht nur von ihren Eltern sehr geliebt. Auch andere Verwandte standen ihr sehr nah und kümmerten sich um sie. Lores Großeltern, Gertrud und Siegfried Breitbarth, lebten in der Großstadt Breslau. Sie besaßen eine große Firma für Fenster- und Kristallglas. Ab und zu kamen sie nach Berlin, um ihr Enkelkind zu sehen.

Lore mit ihren Großeltern
Lores Großeltern
Lore und ihr Onkel Leo
Tante Margot
Rückseite der Postkarte von Tante Margot
Tanten und Onkel

Lore hatte auch ein inniges Verhältnis zu Tante Margot und Onkel Leo, den jüngeren Geschwistern ihrer Mutter Herta. Alle außer Herta flohen in den 1930er Jahren aus Breslau vor den Nationalsozialisten. Sie gingen nach Südafrika, nach Johannesburg. Wegen der großen Entfernung sollte Lore sie erst nach dem Krieg wiedersehen. Sie schrieben ihr jedoch Karten nach England.

Von den Geschwistern ihres Vaters sind keine Fotos erhalten geblieben: Onkel Alfred lebte damals in Belgien, Tante Frieda und Tante Else lebten ebenfalls in Berlin. Als die beiden Tanten im Juli 1942 eine Aufforderung bekamen, sich zu einer Deportation, sehr wahrscheinlich in das Ghettolager Theresienstadt, einzufinden, nahmen sie sich das Leben. Lores Onkel Alfred berichtet darüber in einem Brief aus dem Jahr 1946.

Es gibt viele Kinderfotos von Lore

Foto von Lore im Alter von vier Jahren
Lore im Kindergarten
Porträt von Lore mit 14 Jahren

So sah Lore als Kind aus. Sie war ein Einzelkind und ihre Eltern liebten sie über alles. Deshalb gibt es viele Fotos aus ihrer Kinderzeit. Ihr Kurzhaarschnitt war nicht unbedingt typisch für ein Mädchen in den 1920er Jahren. Damals sollten Mädchen und Frauen unbedingt lange Haare tragen.

Was bedeutete Lores Familie ihr Jüdischsein?

Lore und ihre Eltern lebten im Berliner Stadtteil Schöneberg. Weder ihre Mutter noch ihr Vater stammten ursprünglich aus Berlin. Sie waren in die Hauptstadt gezogen, weil sie für die kaufmännische Karriere von Lores Vater vielversprechend schien. Die jüdische Gemeinde in Berlin war die größte des Deutschen Reichs. Und viele Familien, auch aus den Ostgebieten und aus Polen, waren vom Land in die größeren Städte gezogen, da dort die Aussichten auf Arbeit und ein leichteres Leben besser waren.

Lore mit ihrem Großvater und ihrer Mutter in Berlin
Auf dem Bild hüpft Lore an der Hand ihrer Mutter und ihres Großvaters durch eine Berliner Straße. Das Original ist lediglich ein kleiner Filmstreifen, auf dem drei dieser Fotos in verschiedener Belichtung zu sehen sind.
Religion war nebensächlich

Wie das Foto, auf dem Lore mit Mutter und Opa zu sehen ist, zeigt, war die ganze Familie nicht religiös gekleidet. Keine schwarzen Hüte, keine langen Mäntel oder Röcke, wie es bei religiösen Juden und Jüdinnen üblich war. Sie waren das, was man vollständig assimiliert nannte. Das heißt, sie betrachteten sich selbst in erster Linie und hauptsächlich als deutsche Staatsbürger/-innen.

In dem umfassenden Familienarchiv findet sich kein Dokument, das ein klares Bekenntnis zum jüdischen Glauben nahe legt. Jüdische Religion und Kultur spielten in Lores Familienleben keine große Rolle, was übrigens auf viele jüdische Familien in Deutschland zutraf. Dennoch wollten Lores Eltern für ihre Tochter wenigstens eine Grundbildung im jüdischen Glauben, weswegen sie sie auf eine jüdische Privatschule schickten.

Symbolbild Kapitel 2
Kapitel 2
Lore war überrascht, als plötzlich Jungs an ihrer Schule auftauchten.

Zu Anfang besuchte Lore eine reine Mädchenschule. Mädchen und Jungen getrennt zu unterrichten war damals noch die Regel. Aber dann, im April 1933, kamen aus heiterem Himmel plötzlich Jungen dazu.

Lore fragte sich, was es mit den männlichen Neuzugängen auf sich hatte. Sie fand heraus, dass die Direktorin, Luise Zickel, sich entschlossen hatte, jüdische Jungen an ihrer Privatschule zu akzeptieren, weil die Nationalsozialisten den Besuch öffentlicher Schulen für jüdische Kinder massiv eingeschränkt hatten.

Jüdischsein im Deutschen Reich

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lore nie richtig darüber nachgedacht, dass sie auf eine jüdische Schule ging. Ihre Familie war jüdisch, aber eigentlich hatten sie nicht viel mit ihrer Religion zu tun. Ihre Eltern waren Deutsche, die einfach andere Feiertage begingen als die christlichen Nachbar/-innen. Nun allerdings wurde Lore ihr Jüdischsein erst richtig bewusst.

Das ist Lores Schulzeugnis, als sie ungefähr zwölf Jahre alt war. Anders als in heutigen Zeugnissen, in denen die Lehrer/-innen meist längere Kommentare in ermutigendem Ton schreiben, wurde damals kurz und bündig geurteilt. Ihr Lehrer beurteilte Lore als eigensinnig und nicht sorgfältig genug.
Knapp drei Jahre später, als Lore 15 war, erhielt sie ihr Abschlusszeugnis. "Lore Oschinsky verlässt die Anstalt, weil sie auswandert", steht darüber. Aus dem Zeugnis geht hervor, dass ihre Stärken eindeutig im naturwissenschaftlichen Bereich lagen. Außer in Musik und Zeichnen war sie gut in Erdkunde, Physik, Chemie und Biologie.

Warum durften jüdische Kinder nicht mit den anderen deutschen Kindern zur Schule gehen?

Am 25. April 1933 erließ Adolf Hitler ein Gesetz, das jüdische Deutsche nur noch begrenzt an weiterführenden Schulen zuließ. Angeblich sollte es gegen die Überfüllung von Schulen und Universitäten wirken. In Wirklichkeit jedoch wollten die Nationalsozialisten verhindern, dass jüdische Kinder dasselbe Recht auf Bildung erhalten und sie von den anderen Kindern isolieren. Ab dem 30. Juli 1939 wurde jüdischen Kindern der Besuch von öffentlichen Schulen ganz verboten.

Antisemitische Hetze in der Schule
Antisemitismus in der Schule
Erniedrigung und antisemitische Anfeindungen in deutschen Schulen

Das Foto zeigt zwei jüdische Kinder, die vor der ganzen Klasse erniedrigt werden. Die Worte, auf die die Lehrerin oder ein Mitschüler zeigt, wahrscheinlich damit sie von allen laut gelesen werden, lauten: »Der Jude ist unser größter Feind!« und »Schützt Euch vor den Juden!« Jüdische Kinder wurden mit solchen gehässigen Sätzen von den Lehrer/-innen und Mitschüler/-innen gedemütigt. Die Nationalsozialisten nannten dieses Schüren von Antisemitismus »Rassenlehre«.

Lores Schule wurde zu einer »Oase der Normalität«

…in einer Zeit, in der für jüdische Schüler/-innen und Lehrkräfte bereits nichts mehr »normal« war. Die Direktorin Luise Zickel sorgte dafür, dass Kurse zum Cambridge Certificate stattfanden. Damit konnten deutsche Schulabschlüsse in England und den USA anerkannt werden, wenn die Schüler/-innen dorthin ausgewandert waren. Jüdischen Lehrerinnen und Lehrern wurde es von den Nationalsozialisten verboten, an staatlichen Schulen zu unterrichten. Nun unterrichteten sie an Lores Schule das volle Programm eines Gymnasiums.

Ein Zeichen der Verehrung für ihre Lehrerin

Im selben Jahr, in dem die Jungen auf Lores Schule kamen, gab es noch eine Neuerung. Lore erhielt eine neue Musiklehrerin, Dr. Gertrud Landsberg. Lore mochte sie auf Anhieb, und auch die neue Lehrerin schien die Klasse richtig gern zu haben. Einmal in der Woche durfte Lore mit drei anderen Mädchen zu Frau Landsberg nach Hause, um ihr beim Singen zuzuhören und noch mehr über Musik zu lernen. Lore und die anderen waren von ihren Darbietungen echt begeistert, egal ob es deutsche Lieder waren oder hebräische, wie die Hatikvah.

Die Treffen nach der Schule in der Wohnung ihrer großartigen Musiklehrerin waren Lores Höhepunkt der Woche. Im Jahr 1939 endeten diese Nachmittage allerdings.

Ein Gedicht von Lore
Ein Zeichen der Verehrung für ihre Lehrerin

»Wenn Dir was in die Quere kommt, was Dir nicht passt und Dir nicht frommt [nützt, hilft], Dann spring mit einem Flinken Satz Ganz einfach drüber weg Mein Schatz!«

Dieses kurze Gedicht wurde von Lore handgeschrieben und illustriert. Es wurde in der Mappe mit Lores Schulzeugnissen aufgefunden. Wahrscheinlich wollte sie es ihrer Musiklehrerin Gertrud Landsberg als Zeichen ihrer Zuneigung schenken. Die Zeichnungen in den Buchstaben tragen die Handschrift ihres künstlerischen Stils, der sich in ihren zahlreichen späteren Werken wiederfindet. Tatsächlich kann die Maus, die sich in das »S« von »Schatz« eingenistet hat, als Anspielung auf ihren Spitznamen Loremaus gelesen werden.

Der Text selbst war wohl ein damals bekanntes Sprichwort, sie hat ihre Lehrerin sicherlich nicht mit »mein Schatz« angeredet.

Ein optimistischer Kinderreim

Links unten findet sich eine kleine Datierung, 23. Juni 1938. Zu dieser Zeit wurde die Situation für Juden und Jüdinnen im Deutschen Reich zunehmend unerträglich. Es ist nicht auszuschließen, dass Lore mit dem Gedicht auch auf die vielen Einschränkungen und Verbote antwortete, unter denen jüdische Kinder zu leiden hatten.

So gab es zum Beispiel gleich neben ihrer Schule, im Schöneberger Volkspark, eine hässlich gelb gestrichene Parkbank, von hohen Büschen eingefasst, damit man keine Aussicht auf den Park hatte. Darauf die Aufschrift »Nur für Juden«. Auf den anderen Bänken durften jüdische Parkbesuchende nicht sitzen. Vielleicht suchte Lore Zuflucht in solchen Reimen, um ein wenig Trost und Hoffnung zu finden?

Lores dichterische Fähigkeiten waren heiß begehrt

Postkarte mit Gedicht
Postkarte an Lores Großeltern in Breslau

»Das Päckchen hat mich sehr erfreut
Gern hätt’ ich ’was davon schon heut’
Doch Mutti, die will mir gar nichts geben
Sie sagt, ich muß Diät jetzt leben
Die Ferien machen vielen Spass,
Wenn sie mitunter auch recht nass.
Regen, Gewitter, Sonnenschein
Auch Hagel und Schnee mischten sich ein
Ich freut’ mich sehr habt vielen Dank
Das Dichten macht mich schon ganz krank
Jeder will ein Gedicht besitzen
Und deshalb muss ich hier so schwitzen
Heut’ gehe ich mit Mutti aus
Es grüsst und küsst Euch
Loremaus
(bitte hebt es auf, ich muss es mir noch abschreiben!)«

Dies ist das früheste handschriftliche Zeugnis und der einzige deutschsprachige Brief, der von Lore überliefert ist. Er wurde 1936 zu ihren Großeltern geschickt, die in Breslau lebten.

Durch die Zeilen scheint eine Innigkeit durch, die, trotz der Ferne, offenbar zwischen Lore und ihren Großeltern bestand. Die kurze Botschaft zeugt aber auch davon, dass Lore ihren Humor trotz der feindseligen Atmosphäre im Deutschen Reich beibehielt.

Ihre Klagen über das Wetter und die Strenge der Mutter in Sachen Süßigkeiten könnten auch von jedem anderen 13-jährigen Kind stammen. Besonders ist allerdings, dass Lore dies in Reimen ausdrücken konnte. Tatsächlich wurden Lores poetische Fähigkeiten, die sie bereits als Kind entfaltete, ein wichtiges Werkzeug, um Schwierigkeiten in ihrem Leben zu verarbeiten.

Dass jüdische Kinder mit Bus und U-Bahn zur Schule fahren konnten, sollte sich bald ändern

BVG-Ausweis von Lore
Lores Fahrkarte für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).

Das ist Lores Schülerausweis zur Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs, mit dem sie 1938 und 1939 Busse und Bahnen benutzen konnte. Er wurde von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) ausgestellt. Lore unterzeichnete ihn als 15-Jährige selbst und trug ein, dass sie und ihre Familie in der Bozener Straße 10 im Berliner Bezirk Schöneberg wohnten. Obwohl die Nationalsozialisten viele antisemitische Gesetze bis 1938 erlassen hatten, bezeugt dieses Dokument, dass Juden und Jüdinnen noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren durften.

Jüdische Schülerinnen und Schüler mussten zur Schule laufen

Im Jahr 1941 jedoch schränkten die Nationalsozialisten auch diese grundlegende Freiheit für jüdische Deutsche ein. Sie brauchten nun eine polizeiliche Erlaubnis für Fahrten mit bestimmten Verkehrsmitteln. Juden und Jüdinnen wurde auch untersagt, Schlafwagen der Reichsbahn zu benutzen und Speisewagen zu besuchen.

Da alle Juden und Jüdinnen, die älter als sechs Jahre alt waren, seit dem 1. September 1941 einen sogenannten Judenstern auf ihrer Kleidung tragen mussten, waren sie leicht zu erkennen. Auf diese Weise konnte die Einhaltung der antisemitischen Gesetze kontrolliert werden. Bei Verstößen drohten schwere Strafen, bis hin zu Gefängnis und Haft in einem Konzentrationslager.

Symbolbild Kapitel 3
Kapitel 3
Lore musste mutterseelenallein aus ihrem Land fliehen, denn dort war es nicht sicher für sie.

Es war Anfang 1939 als Lore eines Tages aus der Schule kam und ihre geliebte Lehrerin, Gertrud Landsberg, am Küchentisch mit ihren Eltern sitzen sah. Lore sah an ihren Gesichtern, dass sie alles andere als fröhlich waren. Ihr Vater ergriff das Wort:

»Nun, es war keine leichte Entscheidung, aber in wenigen Wochen wirst du einen Zug nach Belgien nehmen, um bei Onkel Alfred und Tante Edith zu wohnen. Es ist sicherer dort für dich.«

Wie bitte? Lore verschlug es die Sprache. Aber die Lage in Berlin war tatsächlich alles andere als einfach. Es gab nur wenige Läden, in denen sie noch einkaufen durfte. Und erst im November hatten Lore und ihre Eltern einen Schock erlitten: Jüdische Geschäfte und Synagogen waren zerstört und in Brand gesetzt worden.

Was machte das Leben im Deutschen Reich für Lore und ihre Familie so schwer?

Zerstörte Synagoge in Berlin
Innenraum der Berliner Synagoge in der Fasanenstraße nach den Novemberpogromen 1938

Dieses Foto zeigt den verwüsteten Innenraum der Synagoge in der Fasanenstraße, nicht weit von Lores Zuhause. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 wurde das jüdische Gebetshaus zertrümmert, entweiht und abgebrannt. Insgesamt wurden in den darauffolgenden Tagen und Nächten 1.000 Synagogen zerstört, 7.500 jüdische Geschäfte geplündert und bis zu 30.000 jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt.

Die nationalsozialistische Führung hatte im gesamten Deutschen Reich Gewaltaktionen gegen Juden und Jüdinnen organisiert. Die Polizei tat nichts dagegen, sondern verhaftete jüdische Männer. Viele Bürger/-innen schauten zu oder machten mit. Einige versuchten auch zu helfen.

»Reichskristallnacht« – »Novemberpogrome«

Dieses katastrophale Ereignis wurde wegen der vielen zertrümmerten Scheiben zunächst »Reichskristallnacht« genannt. Heute spricht man jedoch von Novemberpogromen, um die massive Gewalt gegen Juden und Jüdinnen deutlicher zu benennen. Gewalt, die von staatlichen Organen und von der nicht-jüdischen Bevölkerung ausgeübt wurde. Außerdem dauerten die Gewaltaktionen länger als eine Nacht. Und das Wort »Kristall«, welches auf das Glas der zersplitterten Fensterscheiben anspielt, verschleiert die wirklichen Ereignisse.

Was war der Anlass für diese Zerstörung?

Am 7. November 1938 schoss der jüdische Herschel Grynszpan in Paris auf einen deutschen Diplomaten, der zwei Tage später seinen Verletzungen erlag. Die nationalsozialistische Führung nahm das Attentat als willkommenen Anlass, um der Parteibasis Gelegenheit zu geben, Juden und Jüdinnen noch schneller aus dem deutschen Wirtschaftsleben herauszudrängen.

Keine Lust zu gehorchen

Namensschild Rotes Kreuz
Diesen Namensanhänger musste Lore tragen, als sie von Berlin nach Brüssel reiste, ein Kindertransport unter dem Schutz des belgischen Roten Kreuzes.

Ehe sie sich versah, stand sie plötzlich im Zug und blickte aus dem Fenster. Es war der 10. Februar 1939. Ihre Augen waren fest auf ihre Eltern gerichtet, die Hand in Hand am Gleis standen. Sie hatten ihr fest versprochen, dass sie bald wieder vereint sein würden. Aber Lore war nur zur Hälfte überzeugt. So viele Jungen und Mädchen in dem Zug waren in derselben Situation wie sie.

Einer der Organisator/-innen dieser unfreiwilligen Reise trat an sie heran, um ihr einen Anstecker an ihren Kragen zu befestigen: »Nummer 283, Oschinski, richtig?« »Ja«, antwortete sie. Schon begannen die Wagen des Kindertransports zu rollen. Und die Gesichter ihrer winkenden Eltern verblassten in der Ferne.

Wie fühlte es sich an, zu fliehen und so viel Kostbares hinter sich lassen zu müssen?

Gedicht Teddybär
Lores Gedicht »Ich möchte gerne einen Teddybär«, geschrieben am 2. Dezember 1989

Ich möchte gerne einen Teddybär.
So treu wie der aus meinen Kinderjahren,
Der mit mir alles Lieb und Leid erfahren.
Doch ihn zu finden, das ist furchtbar schwer.

Er blieb zurück, als ich vor langer Zeit,
Mein Heim verließ, in fremde Länder ging.
Und ich vergaß den Freund, an dem mein Herze hing.
Viel gab’s zu sehen und die Welt war weit.

Wie viele Jahre ist es her?
Wie lange liegt die Kinderzeit zurück?
Als noch ein Teddybär mein ganzes Glück
Doch Teddybär’n wie damals gibt’s nicht mehr.

Dies Verslein fiel mir ein
Dir soll’s gewidmet sein.
L.B.A. [Lore Berta Arkles]

Es ist nicht bekannt, für wen Lore diese Verse dichtete. Vielleicht erinnerte sie sich, als sie es 1989 schrieb, an die Ereignisse fünfzig Jahre zuvor. Bringt sie hier ihre Sehnsucht nach ihrer schönen Kinderzeit zum Ausdruck? Und wem ist das Gedicht gewidmet? Möglicherweise ihrem Vater, den sie nie wiedersah?

Wie kam es zu den Kindertransporten?

Kinder aus Wien, die mit einem Kindertransport fliehen konnten, steigen in London aus dem Zug. Aufnahme von 1939
Führungszeugnis Belgien

Lore war nicht das einzige Kind, das das Deutsche Reich mit einem Kindertransport verließ. Das Foto zeigt viele andere, die ohne ihre Eltern über die Grenze auf sichereres Gebiet flohen. Alle Kinder durften nur zehn Reichsmark und einen kleinen Koffer mit auf ihre Reise ins Unbekannte nehmen.

Die Kindertransporte wurden möglich, weil jüdische Organisationen und Quäker in Großbritannien die Regierung dazu aufriefen, die Einwanderungsgesetze zu lockern. Ziel war es, Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, zu helfen. Das Refugee Children‘s Movement (Flüchtlingskinderbewegung) wurde gegründet und Abgesandte in das Deutsche Reich geschickt, um die Auswahl und den Transport der Kinder zu organisieren.

Rund 10.000 überwiegend jüdische Kinder konnten auf diese Weise fliehen. Zwar war Großbritannien das eigentliche Ziel der Kindertransporte, doch waren Zwischenstopps in anderen Ländern, wie Belgien und Holland, keine Seltenheit.

Das Spannende an diesem Foto ist die Rückseite

Lores Eltern
Vorne sind Lores Eltern Herta und Richard zu sehen, auf der Rückseite des Fotos…
Rückseite Foto von Lores Eltern
…findet sich die Inschrift: »4/6 39. Vati und Mutti zwei Tage vor Mutters Abreise nach England«

Dieses Foto von Lores Eltern wurde am 4. Juni 1939 aufgenommen, also vier Monate, nachdem sie Berlin verlassen hatte. Während Lore zu dieser Zeit in Belgien bei ihrer Tante und ihrem Onkel war, befanden sich ihre Eltern noch in Berlin.

Antisemitismus in Berlin

Die Situation für sie war immens schwierig, zahlreiche Gesetze schränkten das Leben von Juden und Jüdinnen immer weiter ein. Sie durften keine Geschäfte mehr betreiben, keine Ausstellungen und Konzerte mehr besuchen, nicht mehr Auto fahren, sie hatten Wertpapiere und Schmuck abliefern müssen, viele Wohnungen wurden von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Und sie mussten seit Anfang 1939 die Zwangsnamen Israel bzw. Sara annehmen. Im Vergleich zu früheren Fotos wirken die Oschinskis hier nicht glücklich.

Ein letztes gemeinsames Foto

Hinzu kam, dass eine weitere Trennung bevorstand: Lores Mutter sollte zwei Tage nach dieser Aufnahme nach England ausreisen. Warum Richard, Lores Vater, nicht mitging, wissen wir nicht. Vielleicht hatten sie nicht genügend Geld für die Ausreise? Oder die Nationalsozialisten hatten nur einer Person eine Ausreise genehmigt? Vielleicht wollte er seine beiden Schwestern nicht im Stich lassen? Vielleicht hoffte er nachkommen zu können, sobald seine Frau eine Arbeit gefunden hatte?

Symbolbild Kapitel 4
Kapitel 4
Lore kam allein in ein Ferienlager am Meer, in dem es alles andere als lustig zuging.

Mehrere Monate schon wohnte Lore nun bei ihrem Onkel und ihrer Tante in Belgien. Sie ging in Brüssel zur Schule, obwohl eigentlich klar war, dass sie über kurz oder lang nach England weiterreisen würde. Eine jüdische Flüchtlingsorganisation hatte ihr dabei geholfen, einen Platz in einem Krankenhaus zu finden. Dort konnte sie ein Praktikum machen, bevor sie eine Ausbildung zur Krankenschwester beginnen wollte.

Am 9. August 1939 war es soweit. Lore traf auf einer Fähre im Hafen von Dover ein. Zwei Stunden dauerte die Fahrt von Dover nach London. Dort, im Bezirk Plaistow, befand sich das Schwesternheim des Krankenhauses, in dem sie wohnen sollte.

Nach einiger Zeit wurde Lore vermutlich, wie viele geflohene Jugendliche über 14 Jahre, zu einer Arbeit dienstverpflichtet. Sie sollte an der Ostküste in einer Art Kinderheim arbeiten. Dort waren Kinder aus London ohne ihre Eltern untergebracht, um sie vor der deutschen Bombardierung zu schützen. Und sie brauchten eine Betreuung.

Wie sollte sich Lore an die britische Kultur anpassen?

Großbritannien war 1939, direkt nachdem deutsche Truppen Polen überfallen hatte, in den Krieg gegen das Deutsche Reich eingetreten. Es wurden Kriegsvorbereitungen getroffen: Einführung der Wehrpflicht, Steuererhöhungen, Rationierung wichtiger Güter. Die Bevölkerung musste Einschränkungen hinnehmen. Deutsche Flüchtlinge wurden zwar aufgenommen, jedoch oft misstrauisch beäugt.

Richtlinien für deutsche Juden und Jüdinnen in Großbritannien
Richtlinien für deutsche Juden und Jüdinnen in Großbritannien

Diese Broschüre wurde an alle deutsch-jüdischen Geflüchteten, die nach Großbritannien kamen, verteilt. Die Annahme liegt nahe, dass sie in den Lagern auf der Isle of Man ausgegeben wurde und Lore sie dort gelesen hat. Zweisprachig geschrieben, sollte offenbar sichergestellt werden, dass ihr Inhalt verstanden und die englische Sprache gleich geübt wurde.

Ebenso komisch wie detailliert klingen die Anweisungen, nach denen sich die Neuankömmlinge zu richten hatten. Sie sollten so unverdächtig wie möglich auftreten. Die deutsche Sprache sollte in der Öffentlichkeit vermieden, die englische Sprache intensiv studiert werden. Es herrschte Krieg, die Deutschen galten als Feind/-innen, Befürchtungen und Misstrauen sollten entkräftet werden.

Lies hier den gesamten Text:

»Richtlinien zum Verhalten und zur Arbeit für deutsche Juden in Großbritannien

1. Verwenden Sie Ihre Zeit unverzüglich zur Erlernung der englischen Sprache und ihrer richtigen Aussprache.
2. Sprechen Sie nicht Deutsch in den Straßen, in Verkehrsmitteln oder sonst in der Öffentlichkeit, wie zum Beispiel in Restaurants.
Sprechen Sie lieber stockend Englisch als flüssig Deutsch. Und sprechen Sie nicht laut. Lesen Sie keine deutschen Zeitungen in der Öffentlichkeit.
3. Kritisieren Sie weder Bestimmungen der Regierung noch irgendwelche englischen Gebräuche. Sprechen Sie nicht davon, um wie viel besser dies oder das in Deutschland getan wird. Es mag manchmal wahr sein, aber es bedeutet nichts gegenüber der Sympathie und Freiheit Englands, die Ihnen jetzt gewährt werden. Vergessen Sie diesen Punkt niemals.
4. Treten Sie weder einer politischen Organisation bei noch nehmen Sie sonst Anteil an politischen Bewegungen.
5. Benehmen Sie sich nicht auffallend durch lautes Sprechen, durch ihre Manieren oder Kleidung. Dem Engländer missfallen Schaustellungen, auffallende oder nicht konventionelle Kleidung und Manieren. Der Engländer legt Bescheidenheit, sowie ruhiger Kleidung und ruhigen Manieren die grösste Wichtigkeit bei. Bei Gesprächen sind ihm bescheidene Angaben lieber als Übertreibungen. Er schätzt gute Manieren bedeutend höher ein als alle Zeichen von Reichtum. (Sie werden bemerken, dass er für den kleinsten Dienst „Danke schön“ („Thank you“) sagt. Selbst für die Penny Fahrkarte, für die er gezahlt hat.)
6. Versuchen Sie, in gesellschaftlichen und geschäftlichen Verbindungen das Benehmen sowie die Sitten und Gebräuche dieses Landes zu beachten und zu befolgen.
7. Verbreiten Sie nicht das Gift „In Eurem Lande muss es auch so kommen“. Der britische Jude wendet sich entschieden gegen die Verbreitung dieser geistlosen Idee.
8. Vor allem sehen Sie bitte ein, dass die Jüdische Gemeinde sich darauf verlässt, dass Sie – und zwar Sie persönlich und jeder Einzelne von Ihnen – in diesem Lande die besten jüdischen Eigenschaften beibehalten, dass Sie Würde bewahren und anderen helfen und dienen.«

Lore wurde der Spionage verdächtigt

Im Falle von Lore ging das Misstrauen sehr weit, denn offenbar beschwerte sich jemand darüber, dass in dem Flüchtlingsheim an der Ostküste ein deutsches Mädchen arbeitete. Und forderte ihre Ersetzung durch britisches Personal.

Diese Beschwerde schlug hohe Wellen. Plötzlich, im Februar 1940, stand ein Artikel über Lore in der Zeitung Daily Mail: Man verdächtigte sie der Spionage!

In einem Zeitungsartikel wird Lore der Spionage verdächtigt
»Mollig, dunkelhaarig ... aber sie verdächtigen sie - Nun muss Lore die Babies verlassen« Die Zeitungsausgabe vom 7. März 1940 hob ihr Äußeres hervor, das nicht dem typischen Bild der Deutschen entsprach: Sie sei nicht groß, blond, blauäugig, außerdem liebe sie doch offensichtlich Kinder und nicht etwa Offiziere in Uniform.

Dabei war der Vorwurf, sie könne womöglich für die deutsche Regierung spionieren, einfach lächerlich. Lore war aus ihrer Heimat geflohen und hatte nichts mehr mit dem deutschen Staat zu tun. Trotzdem verlor sie ihre Arbeit. Der Wirbel um ihre Person führte sehr wahrscheinlich dazu, dass man sie als »zweifelhaften Fall« einstufte. Jedenfalls hieß es kurz nach ihrer Rückkehr nach London, sie käme in ein Ferienlager auf einer Insel in der Irischen See. In Wirklichkeit wurde sie jedoch gefangen genommen.

Lore wurde als »feindliche Ausländerin« betrachtet

Lores Meldeformular
Lores Registrierungskarte für die Isle of Man

Zu sehen sind hier die offiziellen Papiere, die Lore in England erhielt. Es lassen sich wichtige Daten, wie Lores Ankunft in Großbritannien, ihre Festnahme und ihre Freilassung aus dieser Karte entnehmen. Die Abkürzung »IOM« steht für den Namen der Insel: Isle of Man.

Am 30. Mai 1940, gerade acht Monate nach ihrer Ankunft in England, wurde Lore auf dieser Insel interniert. Im Süden der Insel, bei Port Erin, befand sich ein umfunktioniertes Ferienlager namens Bradda Glen, in dem nun weibliche Flüchtlinge und Kinder festgehalten wurden.

Die Internierten wurden in drei Gruppen aufgeteilt: A, B und C, wobei die Angehörigen der Gruppe A das höchste Sicherheitsrisiko darstellten. Lore befand sich wahrscheinlich in Gruppe B, da sie ja verdächtigt worden war, eine feindliche Spionin zu sein.

Warum betrieben die englischen Behörden ein solches Internierungslager für Geflüchtete?

Bereits seit 1939, unmittelbar nach Kriegsbeginn, wurde hier ein Lager für jüdische Männer eingerichtet, die aus dem Deutschen Reich geflohen waren. Im Frühjahr 1940 befürchtete die englische Regierung eine Invasion deutscher Truppen. Daher gab es großes Misstrauen gegenüber Deutschen.

Besonders der neue Premierminister Winston Churchill setzte ab Mai 1940 durch, dass nunmehr alle Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich als sogenannte »feindliche Ausländer/-innen« zwangsinterniert werden sollten. Da zu dieser Zeit vor allem jüdische Menschen von dort flohen, wurden auf der Isle of Man und an anderen Orten Englands insgesamt etwa 25.000 Juden und 4.000 Jüdinnen festgehalten.

In diesen Lagern erhielten die Insass/-innen täglich zwei Stunden Nachhilfe in Englisch, eine berufliche Grundbildung (Landwirtschaft oder Hausarbeit) und sie mussten gemeinnützige Arbeit zur Aufrechterhaltung der Lager leisten.

Das Ferienlager war ein Gefängnis

Werbung für die Isle of Man
Das Ferienlager auf der Isle of Man wurde in ein Flüchtlingslager verwandelt.

Auch wenn die Werbung einladend aussah: Als Lore am 30. Mai 1940 in dem Ort Port Erin eintraf, lernte sie, dass er alles andere als ein Ferienlager, sondern eine Art Gefängnis war. Anders als bei den männlichen Gefangenen gab es bei den Frauen immerhin keinen Stacheldraht.

Die Besitzer/-innen der Ferienhäuser, in denen sie untergebracht waren, wurden von der Regierung damit beauftragt, gegen Entgelt die Gefangenen zu versorgen und zu kontrollieren. Es gab strenge Verhaltensregeln. Das Essen war mehr als dürftig. Elektrisches Licht und Gas gab es nur stundenweise am Tag. Die Gefangenen mussten im Haushalt helfen.

Lore war allein auf einer Insel. Sie fand keine Freundin. Sie vermisste ihre Mutter, die zwar inzwischen auch in England wohnte, ihr aber nicht helfen konnte. Von Zeit zu Zeit traf Post ein. Auch von ihrem Vater, der noch immer in Berlin war.

Der einzige Kontakt zur Außenwelt waren Postkarten und Briefe

Handgezeichnete Weihnachtskarte
Weihnachtskarte Rückseite

Diese selbstgemalte Weihnachtskarte schickte Lore aus dem Lager. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ging sie an ihre ehemalige Lehrerin Gertrud Landsberg. Ihre Mutter war in der Zwischenzeit ebenfalls in England gelandet, aber sie konnte ihre Tochter offenbar nicht besuchen.

Dass ein 17-jähriges Mädchen, die als Jüdin aus dem Deutschen Reich geflohen war, an ihre Lehrerin so ein handgemaltes Kärtchen sendet, überrascht doch ein bisschen. Lore schrieb auf Englisch. Das mag ihrer strengen Schulung im Lager geschuldet sein oder sie wollte vielleicht auch stolz ihre Sprachkenntnisse zeigen.

Eine Jüdin, die einen christlichen Weihnachtsbaum malt?

Wir wissen von Lores Verwandten und aus den zahlreichen Fotos und Dokumenten, dass die jüdische Religion keine herausragende Rolle in der Familie gespielt hat. Kombiniert mit ihrer Erfahrung, als Jüdin verfolgt worden zu sein, könnte das bei Lore dazu geführt haben, sich vom Judentum zu distanzieren und sich christlichen Bräuchen anzunähern.

Insgesamt entsteht der Eindruck eines deutlichen Wunsches, sich kulturell ihrer neuen Umgebung anzupassen.

Träumen von glücklicheren Tagen?

Irritierend bleibt, dass die Zeichnung für ein 17-jähriges Mädchen erstaunlich kindlich ist, erst recht, wenn man bedenkt, wie gut Lore zeichnen konnte. Ob sie sich in eine heilere Welt der Kindheit zurückgezogen hatte, weil die »erwachsene« Realität von Einsamkeit und Fremdheit so schmerzvoll war?

Fand Lore keine Freund/-innen?

Lores Vater saß in Berlin fest, fern von seinen Lieben, und machte sich Sorgen um die Zukunft seiner Tochter. Besonders beschäftigten ihn Äußerungen, die Lore wohl in einem ihrer Briefe gemacht haben musste, dass sie im Internierungslager so wenig Kontakt zu Gleichaltrigen fand.

Immer wieder versuchte er, Lore Mut zu machen. Mindestens einmal im Monat schrieb er einen Brief an Lore. Und immer wieder verwies er darauf, dass die Briefe, die hin und her gingen, oft Monate unterwegs waren. Leider sind die Briefe, die Lore ihrem Vater aus dem englischen Lager schrieb, nicht erhalten geblieben.

Lies hier Auszüge aus den Briefen, die Lores Vater ihr nach England schrieb:

»Berlin-Schöneberg, Bozenerstr. 10, den 2. Februar 1941

Liebste Lore!

Gestern habe ich Deinen zweiten Brief vom 9.11.40 erhalten, die Laufzeit ist fast ¼ Jahr, Du ahnst nicht, wie ich mich damit gefreut habe. Ich selbst habe am 20. Dez. und 1. Januar an Dich geschrieben, hoffentlich erreicht dich meine Post. Jetzt erwarte ich mindestens alle Monate einmal einen ausführlichen Bericht von Dir mit allem Wissenswerten über Mutti und Dich selbst. Du weißt nicht, wie sehr ich mich um Euch beide gesorgt habe, und wenn mein Haar in der Zwischenzeit weiß geworden ist, so sind die Sorgen um Euch beide wohl zum Gutteil daran schuld.

Jedenfalls freue ich mich aus Deinem Brief zu ersehen, dass Du dort voll beschäftigt bist, nimm die Gelegenheit wahr und lerne tüchtig, es wird Dir später sehr von Nutzen sein. Wie kommt es, dass Du unter Gleichaltrigen gar keine Freundin hast, ein so enges Zusammenleben begünstigt doch solche Freundschaften, übrigens bist Du nun 17 ½ Jahre alt und auch fast erwachsen, da wird man so allmählich für voll genommen und der Verkehr mit Erwachsenen wird zu einer Selbstverständlichkeit.

Ich hoffe, Mutti wird Dir mit ihren Erfahrungen zur Seite stehen, so dass Du allen Klippen ausweichen kannst, die ein solcher Verkehr mit sich bringt, andererseits kannst Du viel lernen, wenn Du mit guten gefestigten älteren Menschen in Fühlung bist, ich verlasse mich da ganz auf Dich, Du wirst den richtigen Weg schon finden. […] Nun lebe wohl, liebe Lore, grüße mir Mutti recht herzlich, Dir selbst 1000 Küsse und Grüße, Vati
Schreib bald wieder!«

Lores Vater erwähnt in diesem und auch in den folgenden Briefen zahlreiche Personen aus dem familiären und freundschaftlichen Umfeld. Damit wollte er wohl Lore und seine Frau Herta auf dem Laufenden halten. Viele Bekannte suchten Mittel und Wege, aus dem Deutschen Reich fliehen zu können, denn die Lebenssituation für Juden und Jüdinnen wurde immer unerträglicher. Seine Hauptsorge galt aber seiner Tochter, die in der Fremde allein zurechtkommen musste.

Im letzten erhalten gebliebenen Brief wird deutlich, dass er sich für die ganze Familie offenbar um eine Ausreise in die USA bemüht hat:

»Berlin-Schöneberg, Bozenerstr. 10, den 3. Mai 1941

Meine liebe Lore!

Ich schrieb Dir zuletzt am 14. 4. und erhielt gestern endlich nach 3-monatlicher Pause Deine lieben Zeilen vom 21. Februar. […]

Onkel Ernst und Tante Irma haben Affidavids nach USA, wann sie aber herauskommen, ist nicht abzusehen. Ich selbst und Eure beiden Nummern sind vom USA-Konsulat nunmehr aufgerufen worden zwecks Einreichung der Papiere. Da ich aber keine Beziehungen nach dort habe, wird die Sache wohl verfallen müssen. Bitte, frage mal Mutti an, ob Sie etwas tun kann. […]

Mit vielen Grüßen und Küssen an Dich und Mutti, Dein Vati«

Symbolbild Kapitel 5
Kapitel 5
Lore erhielt Küsse, die sie nie wieder zurückgeben konnte.

Als Lore am 4. April 1941 aus dem Internierunglager auf der englischen Insel Isle of Man entlassen wurde, war sie froh. Über zehn Monate hatte sie dort allein festgesessen, schrecklich. Immerhin konnte sie jetzt ganz gut Englisch. Nach London konnte sie nicht mehr zurück. Die Stadt wurde seit Monaten von der deutschen Luftwaffe bombardiert. Hunderttausende Häuser lagen in Schutt und Asche, es gab zahllose Tote und noch viel mehr Menschen ohne Obdach.

Aber sie wollte sowieso lieber in der Nähe ihrer Mutter sein, die in einem privaten Haushalt in Essex, nordöstlich von London, angestellt war.

Lore träumte davon, Hebamme zu werden

Die Erfahrungen der Flucht und Internierung hatten Lore verändert. Schweigsamer, verschlossener war sie geworden. Aber sie wusste, was sie wollte. Fleißig verbesserte sie ihr Englisch. Sie arbeitete hart. Sie war jetzt Schwesternschülerin, das heißt, sie erlernte den Beruf der Krankenpflegerin. Ihr Traum war es, Hebamme zu werden. Die Arbeit mit den Händen lag ihr schon immer mehr als das Sitzen an einem Schreibtisch.

In das Deutsche Reich wollte Lore nicht zurück. Allerdings vermisste sie ihren Vater.

Lores Briefe erreichten ihr Ziel nicht

Vor einem Monat erst hatte ihr Vater einige Zeilen an sie geschickt, zu ihrem 19. Geburtstag, sie waren sogar fast rechtzeitig eingetroffen. Er erwähnte darin, dass er bereits seit fünf Monaten ohne Nachricht von ihr und ihrer Mutter war.

Kurz darauf eine weitere Nachricht: Tante Frieda und Tante Else, die älteren Schwestern des Vaters, seien zusammen verstorben. Er sei nun allein. Sein Krankheitszustand mache eine Nachfolge wahrscheinlich. Und wieder: Nachrichtenlos, seit Monaten. Dabei hatten sie ihm geschrieben! Warum kam denn die Post bloß nicht an?

Abschiedsbrief vom Vater
Abschiedsschreiben von Lores Vater an seine Frau Herta und seine Tochter Lore vom 9. August 1942. Am selben Tag wählte er den Freitod in seiner Berliner Wohnung. Richard Oschinski wusste, dass er in das Lager Theresienstadt deportiert werden sollte. Seine letzte Nachricht ist seit Ende 2013 in der Ausstellung unter dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu sehen.

»Deutsches Rotes Kreuz
Antrag auf Nachrichtenvermittlung
Absender: Richard Oschinski
Berlin-Schöneberg, Bozenerstrasse 10
bittet an Ehefrau
Empfänger: Frau Herta Oschinski
Bury St- Edmunds, General Hospital West Suffolk, England
Folgendes zu übermitteln (Höchstzahl 25 Worte):
Liebste Herta, Lore! Kein Wiedersehen. Wünsche Euch beiden alles Gute. Denkt in Liebe an mich, wie ich an Euch. Letzte Grüße, Küsse Euch beiden. Ich Schluß.
Datum 9. August 1942
Richard Israel Oschinski«

Eine schreckliche Nachricht

Lore und ihre Mutter waren besorgt über seinen »Krankheitszustand«. Aber vielleicht umging er auch nur die Briefzensur, um etwas ganz anderes mitzuteilen: Dass er krank vor Sorge und Angst war, krank, weil er in Berlin festsaß; krank, weil die Nazis Juden und Jüdinnen mit Zügen an unbekannte Orte verschleppten.

Und dann kam eines Tages die Nachricht vom Roten Kreuz: »Kein Wiedersehen... Ich Schluss.« Der Blick auf das Datum und die Stempel der Nachricht, die Lore in diesem Moment in den Händen hielt, ließ sie verzweifeln. Wochen war der Brief vom Roten Kreuz unterwegs gewesen. Ihr Vater hatte vor fast vier Wochen Selbstmord begangen. Nie mehr würde sie ihn wiedersehen können.

Lore schaffte es, ihren Traum zu verwirklichen

Lore als Krankenschwester
Lore in Schwesterntracht, aufgenommen in England, wahrscheinlich 1947/48

Auf dem Foto ist Lore ungefähr 24 Jahre alt. Sie sieht aus, als wäre sie stolz auf ihre Kleidung, die sie als Krankenschwester trug. Nach ihrer Ausbildung hatte sie Erfolg bei der Bewerbung für eine zweijährige Weiterbildung zur Hebamme. Im Dezember 1946 hatte sie es geschafft. Sie fand eine Anstellung in London.

Einige Monate später glückte ihr ein weiterer Schritt, um in England Fuß zu fassen. Sie erhielt die britische Staatsbürgerschaft. Englisch schreiben konnte sie inzwischen perfekt, ebenso wie sprechen. Schließlich legte Lore ihren alten Familiennamen ab und nannte sich von nun an Lore Oliver.

Ein neues Leben in Südafrika

Lore und ihre Mutter bemühten sich bereits 1947 um eine Möglichkeit, nach Südafrika auszureisen. In Johannesburg lebte die Familie ihrer Mutter. Im darauffolgenden Jahr zogen sie dorthin. Doch das Leben hielt weitere Schicksalsschläge bereit. Lores Mutter erkrankte an Krebs und starb im April 1952. Kurz darauf hatte Lores Lieblingstante Margot einen Autounfall, an dessen Folgen sie starb. Sie hinterließ einen Mann, den Arzt Charles Arkles.

Foto von Johannesburg, 1954
Eine Aufnahme von Lores neuer Heimat, Johannesburg, im Jahr 1954

Wie es Lore ging, darüber redete sie nie. Aber man kann vermuten, dass sie vielleicht einen Halt suchte. Und Charles Arkles, ihr Onkel? Er war zum zweiten Mal Witwer geworden. Nach einer einjährigen Trauerphase wandte er sich an die inzwischen 35-jährige Lore. Sie hatte auch keine Beziehung, man war doch eine Familie, die aufeinander achtgab, wie wäre es denn, wenn man sich zusammentäte und heiratete?

Wir wissen, dass Lore unentschlossen war, sich Rat bei ihrer alten Lehrerin Gertrud Landsberg holte. Offenbar hat diese ihr zur Heirat geraten, selbst wenn Lore vielleicht nicht von ihrer großen Liebe sprach. Charles Arkles war viel älter als sie. Aber er war ein angesehener, freundlicher, liebevoller Mann.

Jeanne und Vivian Weinstein kümmerten sich um Lore und halfen bei der Spurensuche

Lore hatte mit ihrem Mann ein gutes Leben in Südafrika. Bis schließlich Charles Arkles Tochter aus erster Ehe, Jeanne Weinstein, und deren Ehemann Vivian sie überzeugten, dass es vielleicht besser wäre, wenn sie wieder nach England zurückkommen würden. Denn ihr älterer Mann Charles war bereits gebrechlich, auch sie selbst war nicht mehr die Jüngste und von ihren Verwandten in Südafrika war sonst keiner mehr am Leben.

Foto von Jeanne und Vivian Weinstein, 2012
Jeanne und Vivian Weinstein in der Küche ihres Hauses in England, 2012
Von Südafrika zurück nach England

Ende 1991 trafen sie in England ein. Bereits drei Monate später starb Lores Mann. Die Weinsteins kümmerten sich um sie. Die beiden erinnern sich, dass Lore eigentlich nie über ihre Kindheit und Jugend gesprochen hatte. Nur einmal, im Garten, bei der Johannisbeerernte, erzählte Lore, wie gern sie früher in Berlin unter einem Johannisbeerbusch lag und Beeren naschte.

Spurensuche

Nach Lores Tod, am 5. April 1997, fanden Jeanne und Vivian Weinstein in Lores Wohnung eine große Kiste mit Dokumenten, Fotos und Briefen. Nach und nach erfuhren sie viele Dinge aus Lores Leben, die sie bis dahin nicht gewusst hatten. Ohne den monatelangen Einsatz der Weinsteins, ihre Gesprächsbereitschaft und ihre Spurensuche zu vielen Details, die wir zunächst nicht so genau wussten, hätten wir Lores Geschichte nicht erzählen können.

Jeanne und Vivian Weinstein wiederum bekamen Hilfe von Dr. Anne Humphreys und ihrem Mann Kurt Müller, die die deutschen Originaldokumente ins Englische übersetzten. Es waren also eine Menge Leute daran beteiligt, Lores Geschichte anhand der Schätze aus der Kiste zu verstehen und zu erzählen.

So viele Talente hatte Lore

Zeichnung eines Insekts
selbstgebastelte Handpuppen
Selbstgebastelte Papiertiere

Lore, so erinnern sich Jeanne und Vivian Weinstein, war ein Mensch, der sich im Umgang mit anderen Erwachsenen schwer tat. Doch sie blühte auf, wenn sie mit Kindern zusammentraf. Für Kinder erfand sie Geschichten, bastelte Tiere und Puppen, illustrierte ganze Bücher.

Wenn sich ein geliebter Mensch selbst tötet

Enfold me softly sleep und hold me gently, 
All through the hours of darkest night.
Let me forget anxiety und sorrow 
And let me wake to life when day is bright.

One day your brother will command me »follow!«
He’ll free forever me from all my fears.
I go content, though there’ll be no more laughter,
I also know there will be no more tears.

O Schlaf, umschließe mich leise und halte mich sanft,
Durch die Stunden der dunkelsten Nacht.
Lass mich Angst und Leid vergessen,
und lass mich neu leben, wenn der Tag erwacht.
 
Eines Tages befielt mir dein Bruder: “Folge!”
und ich werd' sein von meinen Ängsten frei
Ich geh’ zufrieden, obwohl das Lachen entschwindet
doch ich weiß, auch die Tränen und das Geschrei.

Dieses Gedicht schrieb Lore fast vierzig Jahre nachdem sie vom Selbstmord ihres Vaters erfahren hatte, Es ist nicht bekannt, warum oder für wen sie diese Verse schrieb. Aber sie wirken wie eine späte Antwort auf eine Frage, die Lore möglicherweise ihr ganzes Leben lang gequält hat.

Wie musste sich ihr Vater damals gefühlt haben? Frau und Kind weit weg, kaum Nachrichten von ihnen. Die Lebensgrundlagen von den Nationalsozialisten ruiniert. Die beiden älteren Schwestern, die sich, nach der schriftlichen Aufforderung durch deutsche Behörden, sich zur Deportation einzufinden, das Leben nahmen. Und dann der eigene Bescheid, Berlin zu verlassen und mit einem Zug nach Osten fahren zu müssen.

Lore Oschinski

* Geboren 12. August 1923 (Berlin) - Gestorben 5. April 1997
Symbolbild für Lore
Johannisbeeren pflücken
© Mike Pampuch
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Lore und ihr Vater Richard
Lore mit ihrem Vater, Richard Oschinski, in ihrem Garten, aufgenommen im August/ September 1932 in Berlin-Schöneberg. Wo sich der Garten der Oschinskis genau befand, ist heute unklar.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lore als Baby mit ihrem Vater
Lore als Baby mit ihrem Vater, wahrscheinlich um 1924. Richard Oschinski wurde am 4. Januar 1877 in Löwen geboren (einer Stadt, die damals zum Deutschen Reich gehörte, aber heute in Polen liegt und Lewin Brzeski). Er war Kaufmann von Beruf.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Babyfoto von Lore
Als dieses Foto am 19. Juni 1924 aufgenommen wurde, war Lore noch kein ganzes Jahr alt.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Foto von Lore als Baby mit ihrer Mutter
Lore als Baby mit ihrer Mutter Herta, wahrscheinlich um 1926 aufgenommen. Herta Oschinski (geborene Breitbarth) kam am 24. März 1901 im oberschlesischen Ratibor zur Welt. Ratibor gehörte damals zum Deutschen Reich, heute liegt es in Polen und heißt Racibórz.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lores Geburtsurkunde
Das ist Lores Geburtsurkunde. Lore kam am 12. August 1923, um 13.45 Uhr zur Welt. Damals lebten ihre Eltern in Berliner Stadtteil Charlottenburg in der Niebuhrstraße 57, später zogen sie nach Schöneberg, in die Bozener Str. 10.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lore mit ihren Großeltern
Als dieses Foto am 19. Juli 1925 auf einer Berliner Parkbank aufgenommen wurde, war Lore drei Jahre alt. Zu sehen sind ihre Großeltern, die aus Breslau zu Besuch waren.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lores Großeltern
Lores Großeltern Siegfried und Gertrud Breitbarth, aufgenommen während eines Aufenthalts im tschechischen Kurort Marienbad, Juli 1934. Lore bekam diese Foto-Postkarte, als sie auf der Isle of Man von den englischen Behörden als deutsche Geflüchtete gefangen gehalten wurde.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lore und ihr Onkel Leo
Lore auf dem Schoß ihres Onkels, 10. Juni 1926. Onkel Leo war der jüngere Bruder ihrer Mutter. Er war Rechtsanwalt und gründete mit einem deutschen Freund, der nicht jüdisch, aber ebenfalls nach Südafrika ausgewandert war, ein Geschäft, in dem sie in Deutschland produzierte Klassikplatten und Fotoapparate verkauften. Darunter waren auch Leica-Kameras, deren Hersteller Ernst Leitz junior jüdische Angestellte beschäftigte, ihnen Fluchthilfe leistete und sie so vor Verfolgung und Tod rettete.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Tante Margot
Tante Margot war die Schwester von Lores Mutter. Sie arbeitete im Geschäft ihres Bruders Leo und war verheiratet mit Charles Arkles, einem Arzt.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Rückseite der Postkarte von Tante Margot
Lore erhielt diese Foto-Postkarte mit dem Porträt ihrer Tante Margot am 24. September 1940 aus Südafrika, als Lore auf der Isle of Man von den englischen Behörden als deutsche Geflüchtete gefangen gehalten wurde.
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Foto von Lore im Alter von vier Jahren
Lore im Alter von vier Jahren
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lore im Kindergarten
Lore sitzt in der Mitte der zweiten Reihe und hält etwas in ihrer Hand.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Porträt von Lore mit 14 Jahren
Diese Aufnahme zeigt Lore am 28. September 1937, da war sie gerade 14 Jahre alt geworden.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lore mit ihrem Großvater und ihrer Mutter in Berlin
Auf dem Bild hüpft Lore an der Hand ihrer Mutter und ihres Großvaters durch eine Berliner Straße. Das Original ist lediglich ein kleiner Filmstreifen, auf dem drei dieser Fotos in verschiedener Belichtung zu sehen sind.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Symbolbild Kapitel 2
© Mike Pampuch
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Das ist Lores Schulzeugnis, als sie ungefähr zwölf Jahre alt war. Anders als in heutigen Zeugnissen, in denen die Lehrer/-innen meist längere Kommentare in ermutigendem Ton schreiben, wurde damals kurz und bündig geurteilt. Ihr Lehrer beurteilte Lore als eigensinnig und nicht sorgfältig genug.
Lores Zeugnis von 1936
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Knapp drei Jahre später, als Lore 15 war, erhielt sie ihr Abschlusszeugnis. "Lore Oschinsky verlässt die Anstalt, weil sie auswandert", steht darüber. Aus dem Zeugnis geht hervor, dass ihre Stärken eindeutig im naturwissenschaftlichen Bereich lagen. Außer in Musik und Zeichnen war sie gut in Erdkunde, Physik, Chemie und Biologie.
Lores Abgangszeugnis von 1939
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Antisemitismus in der Schule
Erniedrigung und antisemitische Anfeindungen in deutschen Schulen
© Yad Vashem
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Ein Gedicht von Lore
Ein Zeichen der Verehrung für ihre Lehrerin
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Postkarte mit Gedicht
Postkarte an Lores Großeltern in Breslau
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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BVG-Ausweis von Lore
Lores Fahrkarte für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Symbolbild Kapitel 3
© Mike Pampuch
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Zerstörte Synagoge in Berlin
Innenraum der Berliner Synagoge in der Fasanenstraße nach den Novemberpogromen 1938
© Yad Vashem Fotoarchiv 520/3
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Namensschild Rotes Kreuz
Diesen Namensanhänger musste Lore tragen, als sie von Berlin nach Brüssel reiste, ein Kindertransport unter dem Schutz des belgischen Roten Kreuzes.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Gedicht Teddybär
Lores Gedicht »Ich möchte gerne einen Teddybär«, geschrieben am 2. Dezember 1989
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Kinder aus Wien, die mit einem Kindertransport fliehen konnten, steigen in London aus dem Zug. Aufnahme von 1939
Kinder aus Wien, die mit einem Kindertransport fliehen konnten, steigen in London aus dem Zug. Aufnahme von 1939
© Österreichische Nationalbibliothek
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Führungszeugnis Belgien
Das Dokument in flämischer Sprache ist ein »Zeugnis für gute Führung, Gesundheit und Moral«, das Lore bei der Ankunft in Belgien im Februar 1939 erhielt. Wir wissen, dass sie mit ihrer Tante und Onkel in einem Vorort von Brüssel lebte und eine Schule besuchte, aber leider gibt es keine schriftliche Korrespondenz aus dieser Zeit.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lores Eltern
Vorne sind Lores Eltern Herta und Richard zu sehen, auf der Rückseite des Fotos…
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Rückseite Foto von Lores Eltern
…findet sich die Inschrift: »4/6 39. Vati und Mutti zwei Tage vor Mutters Abreise nach England«
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Symbolbild Kapitel 4
© Mike Pampuch
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Richtlinien für deutsche Juden und Jüdinnen in Großbritannien
Richtlinien für deutsche Juden und Jüdinnen in Großbritannien
© Jewish Museum London
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Richtlinien für deutsche Juden und Jüdinnen in Großbritannien
Richtlinien für deutsche Juden und Jüdinnen in Großbritannien
© Jewish Museum London
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In einem Zeitungsartikel wird Lore der Spionage verdächtigt
»Mollig, dunkelhaarig ... aber sie verdächtigen sie - Nun muss Lore die Babies verlassen« Die Zeitungsausgabe vom 7. März 1940 hob ihr Äußeres hervor, das nicht dem typischen Bild der Deutschen entsprach: Sie sei nicht groß, blond, blauäugig, außerdem liebe sie doch offensichtlich Kinder und nicht etwa Offiziere in Uniform.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lores Meldeformular
Lores Registrierungskarte für die Isle of Man
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Werbung für die Isle of Man
Das Ferienlager auf der Isle of Man wurde in ein Flüchtlingslager verwandelt.
© Isle of Man Museum Archive, Alan Franklin
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Handgezeichnete Weihnachtskarte
Weihnachtskarte in englischer Sprache, die Lore an ihre ehemalige Lehrerin Gertrud Landsberg verschickte. Sie redet die Empfängerin mit »Mutz« an.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Weihnachtskarte Rückseite
Die Grüße und Wünsche sind datiert auf den 16. Dezember 1940. So ganz fehlerfrei gelang Lore der englische Text noch nicht.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Symbolbild Kapitel 5
© Mike Pampuch
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Abschiedsbrief vom Vater
Abschiedsschreiben von Lores Vater an seine Frau Herta und seine Tochter Lore vom 9. August 1942. Am selben Tag wählte er den Freitod in seiner Berliner Wohnung. Richard Oschinski wusste, dass er in das Lager Theresienstadt deportiert werden sollte. Seine letzte Nachricht ist seit Ende 2013 in der Ausstellung unter dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu sehen.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Lore als Krankenschwester
Lore in Schwesterntracht, aufgenommen in England, wahrscheinlich 1947/48
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Foto von Johannesburg, 1954
Eine Aufnahme von Lores neuer Heimat, Johannesburg, im Jahr 1954
© HiltonT, Flickr
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Foto von Jeanne und Vivian Weinstein, 2012
Jeanne und Vivian Weinstein in der Küche ihres Hauses in England, 2012
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Zeichnung eines Insekts
Eine von Lore gezeichnete Gottesanbeterin
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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selbstgebastelte Handpuppen
Hier sind einige ihrer Puppen zu sehen, die Lore selbst herstellte. Da sie sich auch gerne Geschichte ausdachte, liegt nahe, dass sie den Kindern nicht nur vorlas, sondern die Geschichten auch mithilfe ihrer Puppen vorspielte.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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Selbstgebastelte Papiertiere
Lore liebte Basteleien, die sie auch gerne Kindern schenkte. Hier sind aus Papier gefaltete Tiere zu sehen.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
Zum Kapitel
Enfold me softly sleep und hold me gently, 
All through the hours of darkest night.
Let me forget anxiety und sorrow 
And let me wake to life when day is bright.

One day your brother will command me »follow!«
He’ll free forever me from all my fears.
I go content, though there’ll be no more laughter,
I also know there will be no more tears.

O Schlaf, umschließe mich leise und halte mich sanft,
Durch die Stunden der dunkelsten Nacht.
Lass mich Angst und Leid vergessen,
und lass mich neu leben, wenn der Tag erwacht.
 
Eines Tages befielt mir dein Bruder: “Folge!”
und ich werd' sein von meinen Ängsten frei
Ich geh’ zufrieden, obwohl das Lachen entschwindet
doch ich weiß, auch die Tränen und das Geschrei.
Dieses Gedicht schrieb Lore fast vierzig Jahre nachdem sie vom Selbstmord ihres Vaters erfahren hatte.
© Familienarchiv Jeanne und Vivian Weinstein
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