Friedrich

* Geboren 1921 (Gnadental) - Gestorben 1. Oktober 1940
Porträt Friedrich
Friedrich wird in Gnadental geboren und kommt aufgrund einer Entwicklungsverzögerung nur langsam in der Schule mit. Er hat Schwierigkeiten mit dem Sehen und Hören. 1931 wird er in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Friedrich hat zunächst recht gute Zeugnisse. Doch der Anstaltsdirektor beurteilt seine Arbeitsfähigkeit als unzureichend – mit schweren Folgen: 1937 wird Friedrich vermutlich zwangssterilisiert, im Oktober 1940 dann mit anderen Patient/-innen in die Anstalt Grafeneck gebracht und dort durch Giftgas ermordet.
  • 1921
    Geburt
  • Juni 1931
    Heil- und Pflegeanstalt
  • 1937
    Zwangssterilisation
  • 1. Oktober 1940
    »Aktion T4«
Neutrales Hintergrundbild Neutrales Hintergrundbild
Friedrich
Biografietrailer
Intarsie mit alter Rechenmaschine
Kapitel 1
Friedrich kam in der Schule nur langsam mit. Daher ließ seine Familie ihn in einem Heim unterbringen.

Friedrich, genannt Fritz, wurde 1921 in Gnadental geboren, einem kleinen Ort im Südwesten Deutschlands. Er hatte drei Geschwister. Sein Vater besaß eine Tischlerei.

In dem kleinen Ort Gnadental lebte Friedrich mit seiner Familie
Postkarte von Gnadental, um 1939
Postkarte von Friedrichs Heimatort Gnadental, um 1939

Als Friedrich ein Jahr alt war, bemerkten seine Eltern, dass er sich nicht so entwickelte wie andere Kinder. Erst mit drei Jahren lernte er laufen und sprechen. Es stellte sich heraus, dass Friedrich kognitiv beeinträchtigt war. Das heißt, er lernte nicht so schnell wie andere Kinder. Damals wurde sein Krankheitsbild mit der Diagnose »angeborener Schwachsinn« bezeichnet – ein abwertender Begriff, unter dem ganz verschiedene Krankheiten und Verfassungen zusammengefasst wurden. Worunter Friedrich genau litt, ist unbekannt. Friedrich hatte Schwierigkeiten mit dem Sehen und Hören und kam in der Schule nicht so schnell mit. Da Familien mit beeinträchtigten Kindern nur sehr wenig Unterstützung erhielten, gaben viele ihre Kinder in ein Pflegeheim. Auch Friedrich lebte ab seinem zehnten Lebensjahr in einem solchen Heim, der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg auf der Schwäbischen Alb.

Dort war Friedrich zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen untergebracht. Er besuchte die Anstaltsschule und wurde im Lesen, Rechnen, Auswendiglernen und Schreiben unterrichtet.

Hier lebte Friedrich seit seinem zehnten Lebensjahr

Postkarte mit der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
Postkarte mit der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, 1919

Die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg war eine Einrichtung der evangelischen Kirche. Hier waren vor dem Zweiten Weltkrieg bis zu 200 Kinder und Jugendliche untergebracht. In Mariaberg wurden die Kinder von Ärzt/-innen und Pfleger/-innen betreut und erhielten Schulunterricht.

Friedrich liebte Musik und bastelte gern

Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg

Bei seiner Aufnahme in die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg wurde Friedrich medizinisch untersucht und ein Aufnahmebogen für ihn erstellt. Der Arzt hielt Friedrich für »zurückgeblieben«, aber durchaus für »bildungsfähig«. So konnte er am Schulunterricht teilnehmen.

Friedrich hatte viele Hobbys

In seiner Freizeit spielte Friedrich gern Ziehharmonika oder bastelte. Er fuhr auch gern mit dem Fuhrwerk oder hörte Musik.

Lies hier einen Auszug aus dem Gesamturteil der Ärzte:

»c. Ist das Kind gutmütig, still, heiter. Oder bösartig, aufgeregt, zerstörungssüchtig, gesellig oder sondert es sich ab?«
»Bei Freunden ist er schüchtern, zu Hause will er seinen Willen durchsetzen. Ist sehr eigensinnig.«

»Hat es besondere Neigungen oder Triebe? Spielt es und womit?«
»Er fährt gerne mit dem Fuhrwerk, bastelt gerne, hämmert Kisten zusammen u.m.«

»f. Ist die Sprache verständlich oder mangelhaft? Versteht es das, was man zu ihm spricht?«
»Er versteht, was man zu ihm sagt, er aber kann nicht sie richtig aussprechen«

»Welchen Eindruck machen musikalische Töne?«
»Hat Freude an Musik.«

»Singt es gerne?«
»Ja, spielt mit einer Ziehharmonika.«

»15) Wird das Kind für bildungs-, besserungs- oder nur für pflegefähig gehalten. – oder ist es wahrscheinlich, dass dasselbe Schulunterricht genießen kann?«
»Bildungsfähig, er kann Schulunterricht genießen.«

Wie sah Friedrichs Zeugnis aus?

Schulzeugnis von Friedrich, genannt Fritz, für das Schuljahr 1934/35
Schulzeugnis von Friedrich, genannt Fritz, für das Schuljahr 1934/35

Auf Friedrichs Zeugnis ist zu sehen, in welchen Fächern er unterrichtet wurde und wie ihn sein Lehrer/-innen und seine Erzieher/-innen beurteilten. Er bekam keine Noten, sondern seine Leistungen wurden genau beschrieben. Für das Schuljahr 1934/35 war sein Lehrer nicht unzufrieden mit ihm: Er sei im Unterricht zwar sehr zurückhaltend, aber immer »nett und freundlich«. Er habe Fortschritte im Lesen gemacht, das Rechnen fiele ihm jedoch noch immer schwer.

Intarsie mit Säge, die Wolken zerschneidet
Kapitel 2
Friedrich träumte davon, Tischler zu werden. Doch seine Lehrer/-innen glaubten nicht an ihn.

Mit 16 schloss Friedrich die Schule ab. Er selbst hatte eine genaue Vorstellung davon, wie seine Zukunft aussehen sollte: Friedrich wollte Tischler werden, wie sein Vater. Obwohl er »ganz ordentlich« zeichnete, eine schöne Schrift hatte und auch im Lesen ganz gut abschnitt, hielt sein Klassenlehrer das für unmöglich und fällte ein hartes Urteil über ihn:

»Fritz ist außerhalb der Anstalt nicht zu verwenden. Es wäre für ihn das Beste, wenn er auch weiterhin in der Anstalt bleiben könnte.«

Das Gesamturteil über Friedrich bei seiner Schulentlassung

»Schuljahr 1936/37    Unter-Klasse: II

I.	Körperlicher Stand:  
Fritz ist ein mittelgroßer Junge. Seine Körperhaltung ist schlecht. (Immer nach vorn gebeugt. Geht sehr unsicher) den Kopf neigt er etwas auf die Seite. Er hört sehr schlecht: Flüstersprache rechts: hört nichts. links: auf 1 m. Ebenso sieht er nicht gut: rechts 4/6, links 3/8.
II.	Geistiger Stand:
Fritz ist äußerst schwach begabt. Am Unterricht beteiligt er sich fast nicht. Meist sitzt er teilnahmslos da, u. blickt gedankenlos in die Richtung zum Lehrer. Auf irgend eine Sache kann er sich nur wenig konzentrieren. Eine Merkfähigkeit mit rascher Ermüdung schließt die innere Verarbeitung eines Stoffes völlig aus. Auch seine Gedächtniskraft ist sehr gering.
III.	Charakterbild:
Fritz tritt fast gar nicht in Erscheinung. Will er sich schon bemerkbar machen, so geschieht dies mehr durch Gebärden als mit Worten. Er hält sich sehr zurück. Fritz ist gehorsam und willig. Im Umgang mit seinen Kameraden freundlich. Was in seinen Kräften steht, tut er gerne. Schon bei leichtem Tadel kann er weinen. Sein Benehmen u. Betragen ist gut.
IV.	Erreichter Kenntnisstand: 
Rechnen: Add. der Zahlen 1–3 im Raum 1–50. (Des öfteren noch unsicher) Lesen: Liest langsam u. leise! Fibelgeschichten, ohne innere Aufnahme.
Heimatkunde u. Religion: hat sich kaum an den Unterrichtsgesprächen beteiligt.
Schreiben: Kann ein Lesestück ziemlich fehlerfrei abschreiben. Seine Schrift ist ordentlich. 
Singen: Kann nicht singen. Es fehlt jede Tonauffassung. (Gehör!)
Zeichnen: Er zeichnet Naturgegenstände ganz ordentlich. Seine Figuren sind immer noch sehr kindlich. 
Turnen: Er kann nicht gerade viel leisten, macht aber trotzdem ganz gerne mit.
V.	Verhältnis zur Arbeit:
Fritz möchte gern arbeiten, aber auf geistigem Gebiet ermüdet er sehr rasch, u. ist infolgedessen hier sehr unproduktiv. Auf manuellem Gebiet leistet er verhältnismäßig noch am meisten. An leichten Faltarbeiten hat er eine Freude und ist auch im Formen (leichte Gegenstände aus Plastilin) nicht ungeschickt.
VI.	Berufswunsch:
Fritz möchte Schreiner werden. Dies ist unmöglich. Schon sein sehr schlechtes Gehör u. seine geschwächte Sehkraft bedingen diese Verneinung.
VII.	Verwendungsmöglichkeiten:
Fritz ist außerhalb der Anstalt nicht zu verwenden.
Es wäre für ihn das Beste, wenn er auch weiterhin in der Anstalt bleiben würde.

Mariaberg, den 23 Januar 1937. 
Der Klassenlehrer: Herbert Schmidt.«
Gesamturteil über Friedrich (genannt Fritz) bei der Schulentlassung 1936/37.
Friedrich konnte Vieles richtig gut…

Der Klassenlehrer hatte aber auch Positives zu berichten: »Im Umgang mit seinen Kameraden freundlich«. Er habe eine ordentliche Schrift und schreibe fast fehlerfrei Sätze ab. Überhaupt sei er sehr fleißig und arbeitswillig. Im Formen von kleinen Gegenständen sei er »nicht ungeschickt«.

…trotzdem durfte er sich seinen Beruf nicht aussuchen

Der Lehrer schrieb unter der Rubrik »Berufswunsch« nur wenige, vernichtende Sätze:

»Fritz möchte Schreiner werden. Dies ist unmöglich. Schon sein sehr schlechtes Gehör u. seine geschwächte Sehkraft bedingen diese Verneinung.«

Anders als heute bemühte man sich im Nationalsozialismus und auch noch lange Zeit danach nicht darum, dass Menschen mit Beeinträchtigungen an der Gesellschaft teilhaben konnten. Im Gegenteil wurden sie aktiv ausgeschlossen und in Anstalten von der Öffentlichkeit ferngehalten.

Friedrich sollte sein Leben lang in der Anstalt bleiben

Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt
Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt Schwäbisch Hall vom 8. April 1939
Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt
Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt Schwäbisch Hall vom 8. April 1939

Der Inspektor der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg spricht Friedrich in diesem Brief ebenfalls jedwede Tauglichkeit für einen Beruf und ein eigenständiges Leben außerhalb der Anstalt ab. Doch beruhen seine Argumente oftmals auf Äußerlichkeiten:

So hält der Inspektor Friedrichs Körperhaltung und Gesichtsausdruck für aussagekräftig in Bezug auf seine Fähigkeiten und umschreibt seine Verfassung abwertend und – aus heutiger Sicht – unwissenschaftlich mit »Schwachsinn höheren Grades«. Im Brief wird außerdem deutlich, dass Friedrich sehr wohl seine Aufgaben erfüllen konnte und auch in der Anstalt mithalf.

Auf Friedrichs Ausmusterungsschein ist das einzige erhaltene Foto von ihm zu sehen
Friedrichs Ausmusterungsschein
Friedrichs Ausmusterungsschein aus dem Jahr 1940. Hierauf ist das einzige erhaltene Foto von ihm zu sehen.

Friedrich wurde nicht zugetraut, ein eigenes Leben zu führen und einen Beruf zu erlernen. Auch für den Dienst in der Wehrmacht und für eine Stelle in der Landwirtschaft wurde er als untauglich befunden. Grund für Friedrichs Ausmusterung bei der Wehrmacht war seine Beeinträchtigung. So hieß es in der »Verordnung über die Musterung und Aushebung«:

»(1) Die Kreispolizeibehörde kann völlig Untaugliche (Geisteskranke, Krüppel usw.) auf Grund eines amtsärztlichen Zeugnisses von der Gestellung zur Musterung oder Aushebung befreien.«

Das heißt, Friedrich musste gar nicht zur Musterung erscheinen, wo sonst über die Eignung zum Armeedienst entschieden wurde. Er wurde auf Grund eines medizinischen Gutachtens vom Dienst in der Wehrmacht befreit.

Intarsie zum Thema unfruchtbar machen
Kapitel 3
Friedrich sollte keine Kinder bekommen, weil er nicht in der Lage war, regulär zu arbeiten.

Das Urteil der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, in der Friedrich untergebracht war, war vernichtend: Er würde sein Leben lang auf eine Betreuung in der Anstalt angewiesen sein und könne nicht arbeiten. Arbeit wurde im Nationalsozialismus als »Dienst am Volk« verstanden und von allen Bürger/-innen eingefordert. Wer diese Erwartung nicht erfüllen konnte oder wollte, wurde als »wertlos« angesehen.

Bereits in der Schule wurden den Schüler/-innen rassistische Rechenaufgaben gestellt
Rassistische Rechenaufgabe aus einem nationalsozialistischen Schulbuch, erschienen 1935
Rassistische Rechenaufgabe aus einem nationalsozialistischen Schulbuch, erschienen 1935. Darin sollten die Schüler/-innen das Leben eines Menschen mit Beeinträchtigung gegen das eines gesunden oder arbeitsfähigen Menschen aufrechnen.

Bereits 1933 hatten die Nationalsozialisten das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« erlassen. Hier wurde festgelegt, dass Menschen mit bestimmten Krankheiten und Beeinträchtigungen ohne ihre Zustimmung unfruchtbar gemacht werden konnten. Dies sollte mittels eines chirurgischen Eingriffs geschehen. Bei Männern wurde der Samenleiter durchtrennt und abgebunden. Oftmals wurde der schmerzhafte Eingriff auch ohne lokale Betäubung durchgeführt. Bei Frauen wurden – in einer größeren Operation unter Vollnarkose – die Eileiter verlegt, durchtrennt oder undurchlässig gemacht. Die Betroffenen konnten keine Kinder mehr bekommen.

Auch für Friedrich wurde die Unfruchtbarmachung vom Direktor der Heil- und Pflegeanstalt beantragt. Dabei spielte neben seiner Beeinträchtigung auch seine Arbeitsfähigkeit eine entscheidende Rolle.

Das Kreiswohlfahrtsamt und der Landesjugendarzt befürworteten die Unfruchtbarmachung und gaben die Empfehlung an das zuständige »Erbgesundheitsgericht« in Tübingen weiter. Diese Gerichte entschieden darüber, ob jemand unfruchtbar gemacht wurde oder nicht. Wie die Entscheidung des Gerichtes für Friedrich lautete, ist nicht erhalten geblieben. Aber es ist wahrscheinlich, dass er zwangssterilisiert wurde.

So begründete der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Friedrichs Zwangssterilisation

Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors Wacker an das Jugendamt Öhringen
Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors Wacker an das Jugendamt Öhringen vom 1. April 1937

Im April 1937 – also nur wenige Monate nach seiner Schulentlassung – erstattete der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg dem zuständigen Jugendamt in Öhringen Bericht über Friedrichs Entwicklung: Er leide an »Schwachsinn höheren Grades« und sei kaum in einer Arbeitsstelle einsetzbar. Seine Zukunft sei völlig offen. Doch im Falle einer Unterbringung außerhalb der Anstalt empfahl der Direktor, dass Friedrich zwangssterilisiert werden sollte.

Die Antwort des Jugendamts ließ nicht lange auf sich warten: Nur wenige Tage später forderte das Jugendamt den Direktor der Anstalt dazu auf, die Zwangssterilisation offiziell zu beantragen. Friedrich war zu dem Zeitpunkt 15 oder 16 Jahre alt.

Die NS-Propaganda richtete sich gegen die bloße Existenz geistig und körperlich beeinträchtigter Menschen

Rassistische Ausstellungstafel des Reichsnährstandes
Rassistische Ausstellungstafel des Reichsnährstandes

Die Nationalsozialisten waren davon überzeugt, dass Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen »minderwertig« seien und es nicht wert seien zu leben. So beurteilt, wurden sie nicht als Mitglieder der »Volksgemeinschaft« anerkannt. Die Plakate der NS-Propaganda stellten geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen als Bedrohung dar, deren Anzahl unaufhörlich steige und damit die »höherwertigen« Deutschen ohne Beeinträchtigung »verdrängen« würde.

Mit dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, das am 1. Januar 1934 in Kraft trat, wurde geistig und körperlich beeinträchtigten Menschen nicht nur das Recht abgesprochen, Kinder zu bekommen, sondern letztlich auch das Recht auf Liebe und Sexualität.

Was genau stand im »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« von 1933?

Auszug aus dem Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933
Auszug aus dem Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933

Menschen mit den verschiedensten Krankheiten waren vom »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« betroffen:

»Schwachsinn«, »Schizophrenie«, »erbliche Fallsucht«?

»Angeborener Schwachsinn« bezeichnete in den 1930er Jahren abwertend eine Reihe von Krankheitsbildern. Nicht nur Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung wurden unter dieser Diagnose gefasst, sondern auch solche, die einen unangepassten Lebensstil hatten, konnten als »schwachsinnig« bezeichnet werden.

Schizophrenie ist eine psychische Krankheit, bei der die Betroffenen Denk- und Wahrnehmungsstörungen bis hin zu Wahnvorstellungen entwickeln. Sie wird nach heutigem Wissensstand sowohl durch genetische und hormonelle Faktoren als auch durch äußere Einflüsse ausgelöst.

Unter »erblicher Fallsucht« wurde in den 1930er Jahren die Krankheit Epilepsie verstanden. Bei der Epilepsie sind die Signale, die die Muskeln von den Nervenzellen erhalten, gestört. Es kommt zu krampfartigen Anfällen.

»Zirkuläres Irresein«, »erblicher Veitstanz«?

»Zirkuläres Irresein« war früher die abwertende Bezeichnung für eine psychische Krankheit. Heute wird sie als bipolare Störung bezeichnet. Betroffene haben depressive, antriebslose Phasen und dann wieder Phasen mit starken Stimmungshochs und dem Gefühl der Getriebenheit.

»Erblicher Veitstanz« wird heute als Chorea Huntington bezeichnet. Es handelt sich um eine unheilbare Krankheit des Gehirns, bei der die Betroffenen die Kontrolle über ihre Muskulatur und über ihr soziales Verhalten verlieren. Unwillkürliche Bewegungen und unbedachtes, enthemmtes Verhalten sind die Folge.

Blindheit, Gehörlosigkeit und Alkoholismus wurden auch genannt

Wenn Menschen nicht sehen oder hören können, kann das ganz verschiedene Ursachen haben. Die Nationalsozialisten sprachen von »erblicher Blindheit« und »erblicher Taubheit«. Sie waren also der Meinung, dass Blindheit und Gehörlosigkeit immer erblich verursacht seien und Betroffene daher ebenso zwangssterilisiert werden sollten.

Die Nationalsozialisten unterstellten auch, dass Alkoholabhängigkeit vererbbar sei, sodass auch diese Krankheit unter das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« fiel.

Sogar die Zeitung berichtete über die zahlreichen Anträge, Kinder unfruchtbar zu machen

Die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, die eine Einrichtung der evangelischen Kirche war, begrüßte das unmenschliche »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«. Die ärztliche Leitung der Anstalt beantragte insgesamt sechzig Zwangssterilisationen für die eigenen Schützlinge. Dieses harte Vorgehen wurde von der regionalen Presse gelobt.

So hieß es in der Zeitung vom 27. November 1936:

»Die Anstalt hat an der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von Anfang an mitgewirkt und seit vielen Jahren einen großen eugenischen Dienst an der Volksgemeinschaft dadurch geleistet, dass sie eine bedeutende Zahl erbkranker Menschen asyliert und von der Fortpflanzung abgehalten hat, wofür ihr und allen Mitarbeitern und Helfern Dank gebührt.«

Zeitungsbericht über die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 27. November 1936
Zeitungsbericht über die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 27. November 1936
Intarsie mit Hobel
Kapitel 4
Friedrich und seine Freund/-innen mussten schnell ihre Sachen packen und in die grauen Busse steigen. Fahrtziel? Unbekannt.

Am 1. Oktober 1940 fuhren graue Busse an der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, vor. Sie waren gekommen, um über fünfzig der dort untergebrachten Patient/-innen abzuholen. Ihre Namen waren auf einer Liste verzeichnet. Auch Friedrichs Name stand darauf.

Friedrich wusste nicht, wohin die Fahrt gehen sollte. Er hatte seine Sachen packen müssen, ihm wurde eine Nummer auf seinen Rücken geklebt und schließlich musste er sich von seinen Freund/-innen, Pflegeschwestern und Lehrer/-innen verabschieden. Das Pflegepersonal von Mariaberg kannte das Ziel des Transports jedoch genau: Es war das gerade einmal dreißig Kilometer entfernte Schloss Grafeneck, in dem bis 1939 ein Pflegeheim für Menschen mit Beeinträchtigungen untergebracht gewesen war.

Mit einem solchen Bus wurde Friedrich abgeholt
Ein grauer Bus der Tarnorganisation »Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft«
Ein grauer Bus der Tarnorganisation »Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft«, um 1940

Grafeneck bot zu diesem Zeitpunkt jedoch keine Unterbringung für geistig oder körperlich beeinträchtigte Menschen mehr an. Stattdessen erfüllte die Anstalt eine ganz andere Funktion: Die dort eingelieferten Menschen wurden seit Januar 1940 in einem Schuppen, der zu einer Gaskammer umgebaut worden war, ermordet.

Als Friedrich in Grafeneck eintraf, ging alles sehr schnell: Zusammen mit den anderen Personen aus Mariaberg wurde er, wie damals bei einer Anstaltsaufnahme üblich war, ausgezogen, gewogen, fotografiert und schließlich einem Arzt vorgeführt. Auf diese Weise wurden Name und Zustand der Patient/-innen noch einmal überprüft, bevor sie vom Pflegepersonal in die Gaskammer geführt wurden. Nach einer letzten Zählung schlossen sich die Tore und Kohlenmonoxidgas wurde in den Raum geleitet. Innerhalb von einer halben Stunde starben Friedrich und alle anderen darin zusammengepferchten Menschen.

Friedrichs Leichnam wurde in einem der drei in Grafeneck installierten Krematorien verbrannt und die Asche in einer Urne an seine Eltern geschickt.

Woher stammte die Namensliste?

Der Krankenmord war von der T4-Zentrale in Berlin, benannt nach ihrem Sitz in der Tiergartenstraße 4, genauestens vorbereitet worden: Bereits im Oktober 1939 waren die ersten Meldebögen an alle Anstalten im Deutschen Reich verschickt worden. So wurden alle geistig oder körperlich beeinträchtigten Personen mit ihrem Namen und ihrer Diagnose erfasst.

Aufgrund dieser Angaben waren Listen mit den Namen derjenigen erstellt worden, die im Rahmen des Mordprogramms getötet werden sollten. Am 21. September 1940 erhielt Inspektor Kraft, der Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, einen Brief mit einer Liste von 97 Patient/-innen, die aus der Anstalt abgeholt werden sollten.

T4-Meldebogen
Ein solcher T4-Meldebogen aus dem Jahr 1939 musste für alle Patient/-innen ausgefüllt werden. Neben dem Namen und dem Geburtsdatum musste auch die Diagnose eingetragen werden. In dem großen, schwarz umrandeten Feld trugen die Gutachter entweder ein rotes Plus- oder ein blaues Minuszeichen ein. Damit entschieden sie über Leben und Tod. Ein rotes Pluszeichen hieß: Die Person sollte umgebracht werden. Das blaue Minuszeichen bedeutete: Die Person wird nicht getötet.

Der Direktor des Heims in Mariaberg versuchte seinen Patient/-innen das Leben zu retten

Der Anstaltsleiter wusste genau, was in Grafeneck vor sich ging und reiste sofort nach Stuttgart zum Landesinnenministerium: Er wollte die Ermordung seiner Patient/-innen in Grafeneck verhindern. Zwar hatte man in der evangelischen Anstalt die Unfruchtbarmachung der Patient/-innen befürwortet, doch ihre Tötung konnte er nicht akzeptieren und mit seinem christlichen Glauben in Einklang bringen.

Das Schloss Grafeneck diente als Tötungsanstalt.
Aufnahme des Schlosses Grafeneck
Im Ministerium

Im Landesinnenministerium eingetroffen, erklärte der zuständige Beamte dem Direktor, dass schließlich nur diejenigen Patient/-innen abgeholt würden, die »am kränksten seien und am längsten in Mariaberg wohnten«. Aber das war nicht das einzige Kriterium. Tatsächlich wurde die Auswahl hauptsächlich anhand der Arbeitsleistung der Betroffenen getroffen. Einträge wie »Schuhmacher, sohlt, flickt sämtliche Schuhe für 210 Leute!« oder »In der Anstaltsküche geradezu unentbehrlich« im Meldebogen, waren oftmals lebensrettend.

Ein paar Leben wollte der Direktor wenigstens retten

Daher veränderte der Anstaltsdirektor kurzerhand die Einträge in den Meldebögen: Während er zuvor, in der Annahme, dass die tüchtigsten Patienten verlegt werden sollten, deren Arbeitsleistungen kleingeredet hatte, stellte er ihnen nun das bestmögliche Zeugnis aus.

Dieser Rettungsversuch hatte jedoch nur zum Teil Erfolg: Die Todesliste wurde um 41 Personen gekürzt. Statt 97 sollten nun noch 56 Patient/-innen nach Grafeneck gebracht werden.

Mit diesem Schreiben Hitlers begann der Patientenmord

Ermächtigungsschreiben Adolf Hitlers, gerichtet an Philipp Bouhler und Karl Brandt, datiert auf den 1. September 1939
Ermächtigungsschreiben Adolf Hitlers, datiert auf den 1. September 1939

Adolf Hitler ermächtigte mit diesen wenigen Zeilen den Chef der Reichskanzlei, Philipp Bouhler, und seinen Leibarzt, Karl Brandt, zum Mord an geistig oder körperlich Beeinträchtigten. Geschrieben auf seinem privaten Briefpapier war der Erlass letztlich nicht rechtskräftig, wurde aber dennoch von Bouhler und Brandt dazu benutzt, den sogenannten Krankenmord zu rechtfertigen. Zur Tarnung des Verbrechens sprach Hitler absichtlich nicht von Mord, sondern von »Gnadentod«, so dass man glauben konnte, es handele sich um eine moralisch gerechtfertigte Tat und nur um ausgewählte Einzelfälle.

So sah die Gaskammer in Grafeneck aus - der Rauch aus den Krematoriumsöfen blieb nicht unbemerkt

Foto der ehemaligen Gaskammer in Grafeneck
Dieser Schuppen auf dem Gelände von Grafeneck war zu einer Gaskammer umgebaut worden.
So erinnert sich der Bürgermeister der nur wenige Kilometer von Grafeneck entfernten Gemeinde Dapfen:

»Mit dem Erscheinen der Omnibusse setzte ein Gemunkel ein darüber, daß mit den Omnibussen Geisteskranke aus den verschiedenen Anstalten [transportiert] würden und in Grafeneck umgebracht würden. Bestimmtes wusste niemand. […] Den Geruch und den Rauch konnte man jeweils in Dapfen wahrnehmen, vor allem an diesigen Tagen. Als die Omnibusse regelmäßig fuhren und im Ort ziemlich viel im Flüsterton gesprochen wurde, war man sich klar, daß auf Grafeneck die Geisteskranken umgebracht wurden […].«

Das Wissen der Bevölkerung um den tausendfachen Mord war schließlich ein Grund, warum die Tötungsanstalt in Grafeneck im Dezember 1940 geschlossen wurde. Doch zum landesweiten Stopp der Mordaktion kam es erst im August 1941. Insgesamt wurden etwa 70.000 Menschen ermordet. Allein in Grafeneck waren es etwa 10.500 Menschen.

Viele Anstalten töteten trotzdem weiterhin ihre Patient/-innen. Zum Beispiel mit Giftspritzen oder indem sie ihnen zu wenig Essen gaben.

Intarsie mit Hobel
Kapitel 5
Friedrich konnte den letzten Brief an seine Familie nicht einmal selbst verfassen.

Nur wenige Tage nach Friedrichs Ermordung in Grafeneck erhielt seine Familie einen sogenannten Trostbrief. Diese Briefe wurden in der Tötungsanstalt Grafeneck verfasst und ähnelten sich im Wortlaut: Oftmals wurde nur der Name, die Todesursache und das Datum neu eingetragen.

So sah ein sogenannter Trostbrief aus Grafeneck aus
Ein sogenannter Trostbrief aus der Tötungsanstalt Grafeneck vom 3. Juli 1940
Ein sogenannter Trostbrief aus der Tötungsanstalt Grafeneck vom 3. Juli 1940

Die Todesursache war frei erfunden. Die Ärzte, die die Kranken vor der Ermordung inspizierten, oder die Sekretärinnen der Anstalten, die die sogenannten Trostbriefe verfassten, wählten von einer Liste eine Todesursache aus.

Friedrichs Familie traf die Todesnachricht völlig unerwartet. Lediglich eine Urne mit Friedrichs Überresten konnte sie noch bestatten. Die Eltern beschwerten sich beim Anstaltsleiter der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, Friedrichs letztem Wohnort vor der Tötungsanstalt. Sie waren von der plötzlichen Verlegung nach Grafeneck überrascht und konnten sich die knappe Todesnachricht nicht erklären. Friedrichs Vater vermutete jedoch einen Zusammenhang mit den Geschehnissen in Grafeneck und sprach den Anstaltsleiter von Mariaberg direkt darauf an.

Dieser versuchte, die Familie zu beschwichtigen, leugnete jedoch nicht, dass Friedrich zusammen mit anderen Anstaltsinsass/-innen, gegen den Willen der Anstaltsleitung verlegt worden war.

Die Ermordung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Grafeneck war offensichtlich schon lange kein Geheimnis mehr.

Diesen Brief schrieb Friedrichs Vater Georg an das Heim in Mariaberg

Brief von Friedrichs Vater Georg an die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 10. November 1940
Brief von Friedrichs Vater Georg an die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 10. November 1940

Gnadental, den 10.11.40

Geehrte Anstaltsverwaltung!

Zurückgekehrt vom Grabe unseres l. [lieben] Sohnes Fritz, möchten wir doch nochmals anfragen, ob es denn mit Fritz so schnell gegangen ist, ihn so schnell von Mariaberg fort tun zu müssen, oder aus anderen Gründen, denen Sie vielleicht nicht mehr mächtig waren. Wir haben ja nur noch seine Urne bestatten können. Es ist für uns ein großer Schmerz, ohne weiteres nur die Nachricht zu erhalten: gestorben. Wir bitten Sie, doch umgehend zu benachrichtigen, ob er noch mit mehr Leidensgenossen dort weggeholt worden ist, u. es ist doch sicher auch ein schwerer Abschied gewesen. Sie haben’s gut, die in der ewigen Heimat sind.

Mit deutschem Gruß
Heil Hitler
Fam. […]

So beschrieb der leitende Beamte des Heims den Abschied von Friedrich und den anderen Jugendlichen

Antwortschreiben des Mariaberger Anstaltsdirektors Erich Kraft vom 15. November 1940
Antwortschreiben des Mariaberger Anstaltsdirektors Erich Kraft vom 15. November 1940

Der Anstaltsinspektor sprach der Familie in seinem Schreiben sein Beileid aus und versuchte, sie zu trösten. Ob Friedrich tatsächlich ahnungslos war, als er in den Bus einstieg und sich auf eine Spazierfahrt freute, ist ungewiss. Viele der Patient/-innen ahnten, was ihnen bevorstand, sie hatten Angst und wehrten sich auch manchmal.

Sowohl in Grafeneck als auch in Mariaberg erinnern heute Mahnmale an die Mordopfer der Nationalsozialisten

Foto des heutigen Mahnmals in Mariaberg zur Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes
Foto des heutigen Mahnmals in Mariaberg zur Erinnerung an die Opfer der sogenannten Krankenmorde
Aufnahme des Alphabet-Gartens der Gedenkstätte Grafeneck
Die Aufnahme stammt aus dem Alphabet-Garten der Gedenkstätte Grafeneck.
Gedenken in Mariaberg

Die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg hat sich heute zu einer Einrichtung der Behindertenhilfe gewandelt. Hier finden sich ein Krankenhaus für Kinder- und Jugendpsychiatrie und eine Ausbildungswerkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen. Das Mahnmal auf dem Gelände von Mariaberg wurde 1990 errichtet. Auf den Steinplatten sind die Namen der insgesamt 61 Kinder und Jugendlichen der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg eingraviert, die während der »Aktion T4« ermordet wurden. Die dazugehörige Inschrift lautet: »Wenn die Menschen schweigen, so werden die Steine schreien.«

Gedenken in Grafeneck

Auch im Schloss Grafeneck ist heute eine kirchliche Pflegeeinrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen ansässig. Hier wird den während der Zeit des Nationalsozialismus Ermordeten auf ähnliche Weise gedacht: Neben einer Dokumentationsstätte und einer Gedenkkapelle wurde 1998 der sogenannte Alphabet-Garten eingeweiht. Hierfür wurden 26 Quader mit je einem Buchstaben des Alphabets in den Boden eingelassen. Aus den Buchstaben können alle Namen der in Grafeneck ermordeten Menschen gebildet werden.

Friedrich

* Geboren 1921 (Gnadental) - Gestorben 1. Oktober 1940
Intarsie mit alter Rechenmaschine
Symbolbild Kapitel 1
© Christin Franke
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Postkarte von Gnadental, um 1939
Postkarte von Friedrichs Heimatort Gnadental, um 1939
© michelfeld.de
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Postkarte mit der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
Postkarte mit der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg, 1919
© gemeinfrei
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Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
Auszug aus Friedrichs Aufnahmebogen in der Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Schulzeugnis von Friedrich, genannt Fritz, für das Schuljahr 1934/35
Schulzeugnis von Friedrich, genannt Fritz, für das Schuljahr 1934/35
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Intarsie mit Säge, die Wolken zerschneidet
Symbolbild Kapitel 2
© Christin Franke
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»Schuljahr 1936/37    Unter-Klasse: II

I.	Körperlicher Stand:  
Fritz ist ein mittelgroßer Junge. Seine Körperhaltung ist schlecht. (Immer nach vorn gebeugt. Geht sehr unsicher) den Kopf neigt er etwas auf die Seite. Er hört sehr schlecht: Flüstersprache rechts: hört nichts. links: auf 1 m. Ebenso sieht er nicht gut: rechts 4/6, links 3/8.
II.	Geistiger Stand:
Fritz ist äußerst schwach begabt. Am Unterricht beteiligt er sich fast nicht. Meist sitzt er teilnahmslos da, u. blickt gedankenlos in die Richtung zum Lehrer. Auf irgend eine Sache kann er sich nur wenig konzentrieren. Eine Merkfähigkeit mit rascher Ermüdung schließt die innere Verarbeitung eines Stoffes völlig aus. Auch seine Gedächtniskraft ist sehr gering.
III.	Charakterbild:
Fritz tritt fast gar nicht in Erscheinung. Will er sich schon bemerkbar machen, so geschieht dies mehr durch Gebärden als mit Worten. Er hält sich sehr zurück. Fritz ist gehorsam und willig. Im Umgang mit seinen Kameraden freundlich. Was in seinen Kräften steht, tut er gerne. Schon bei leichtem Tadel kann er weinen. Sein Benehmen u. Betragen ist gut.
IV.	Erreichter Kenntnisstand: 
Rechnen: Add. der Zahlen 1–3 im Raum 1–50. (Des öfteren noch unsicher) Lesen: Liest langsam u. leise! Fibelgeschichten, ohne innere Aufnahme.
Heimatkunde u. Religion: hat sich kaum an den Unterrichtsgesprächen beteiligt.
Schreiben: Kann ein Lesestück ziemlich fehlerfrei abschreiben. Seine Schrift ist ordentlich. 
Singen: Kann nicht singen. Es fehlt jede Tonauffassung. (Gehör!)
Zeichnen: Er zeichnet Naturgegenstände ganz ordentlich. Seine Figuren sind immer noch sehr kindlich. 
Turnen: Er kann nicht gerade viel leisten, macht aber trotzdem ganz gerne mit.
V.	Verhältnis zur Arbeit:
Fritz möchte gern arbeiten, aber auf geistigem Gebiet ermüdet er sehr rasch, u. ist infolgedessen hier sehr unproduktiv. Auf manuellem Gebiet leistet er verhältnismäßig noch am meisten. An leichten Faltarbeiten hat er eine Freude und ist auch im Formen (leichte Gegenstände aus Plastilin) nicht ungeschickt.
VI.	Berufswunsch:
Fritz möchte Schreiner werden. Dies ist unmöglich. Schon sein sehr schlechtes Gehör u. seine geschwächte Sehkraft bedingen diese Verneinung.
VII.	Verwendungsmöglichkeiten:
Fritz ist außerhalb der Anstalt nicht zu verwenden.
Es wäre für ihn das Beste, wenn er auch weiterhin in der Anstalt bleiben würde.

Mariaberg, den 23 Januar 1937. 
Der Klassenlehrer: Herbert Schmidt.«
Gesamturteil über Friedrich (genannt Fritz) bei der Schulentlassung 1936/37.
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt
Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt Schwäbisch Hall vom 8. April 1939
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt
Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors an das Kreiswohlfahrtsamt Schwäbisch Hall vom 8. April 1939
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Friedrichs Ausmusterungsschein
Friedrichs Ausmusterungsschein aus dem Jahr 1940. Hierauf ist das einzige erhaltene Foto von ihm zu sehen.
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprünglich BArch.
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Intarsie zum Thema unfruchtbar machen
Symbolbild Kapitel 3
© Christin Franke
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Rassistische Rechenaufgabe aus einem nationalsozialistischen Schulbuch, erschienen 1935
Rassistische Rechenaufgabe aus einem nationalsozialistischen Schulbuch, erschienen 1935. Darin sollten die Schüler/-innen das Leben eines Menschen mit Beeinträchtigung gegen das eines gesunden oder arbeitsfähigen Menschen aufrechnen.
© zit. n. Landeszentrale für politische Bildung (Hg.): Euthanasie im NS-Staat: Grafeneck im Jahr 1940. S. 48.
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Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors Wacker an das Jugendamt Öhringen
Brief des Mariaberger Anstaltsdirektors Wacker an das Jugendamt Öhringen vom 1. April 1937
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Rassistische Ausstellungstafel des Reichsnährstandes
Rassistische Ausstellungstafel des Reichsnährstandes
© Landeszentrale für politische Bildung (Hg.): Euthanasie im NS-Staat: Grafeneck im Jahr 1940. S. 48.
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Auszug aus dem Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933
Auszug aus dem Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933
© gemeinfrei
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Zeitungsbericht über die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 27. November 1936
Zeitungsbericht über die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 27. November 1936
© Archiv Mariaberg
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Intarsie mit Hobel
Symbolbild Kapitel 4
© Christin Franke
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Ein grauer Bus der Tarnorganisation »Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft«
Ein grauer Bus der Tarnorganisation »Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft«, um 1940
© Bildarchiv Gedenkstätte Grafeneck
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T4-Meldebogen
Ein solcher T4-Meldebogen aus dem Jahr 1939 musste für alle Patient/-innen ausgefüllt werden. Neben dem Namen und dem Geburtsdatum musste auch die Diagnose eingetragen werden. In dem großen, schwarz umrandeten Feld trugen die Gutachter entweder ein rotes Plus- oder ein blaues Minuszeichen ein. Damit entschieden sie über Leben und Tod. Ein rotes Pluszeichen hieß: Die Person sollte umgebracht werden. Das blaue Minuszeichen bedeutete: Die Person wird nicht getötet.
© gemeinfrei
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Das Schloss Grafeneck diente als Tötungsanstalt.
Aufnahme des Schlosses Grafeneck
© Bildarchiv Gedenkstätte Grafeneck
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Ermächtigungsschreiben Adolf Hitlers, gerichtet an Philipp Bouhler und Karl Brandt, datiert auf den 1. September 1939
Ermächtigungsschreiben Adolf Hitlers, datiert auf den 1. September 1939
© gemeinfrei
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Foto der ehemaligen Gaskammer in Grafeneck
Dieser Schuppen auf dem Gelände von Grafeneck war zu einer Gaskammer umgebaut worden.
© Bildarchiv Gedenkstätte Grafeneck
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Intarsie mit Hobel
Symbolbild Kapitel 5
© Christin Franke
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Ein sogenannter Trostbrief aus der Tötungsanstalt Grafeneck vom 3. Juli 1940
Ein sogenannter Trostbrief aus der Tötungsanstalt Grafeneck vom 3. Juli 1940
© Staatsarchiv Ludwigsburg E 191 Bü 6861
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Brief von Friedrichs Vater Georg an die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 10. November 1940
Brief von Friedrichs Vater Georg an die Heil- und Pflegeanstalt Mariaberg vom 10. November 1940
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Antwortschreiben des Mariaberger Anstaltsdirektors Erich Kraft vom 15. November 1940
Antwortschreiben des Mariaberger Anstaltsdirektors Erich Kraft vom 15. November 1940
© Patientenakte Friedrich, Mariaberg e.V., ursprüngl. BArch
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Foto des heutigen Mahnmals in Mariaberg zur Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes
Foto des heutigen Mahnmals in Mariaberg zur Erinnerung an die Opfer der sogenannten Krankenmorde
© mellifikation (unter CC BY-ND 3.0)
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Aufnahme des Alphabet-Gartens der Gedenkstätte Grafeneck
Die Aufnahme stammt aus dem Alphabet-Garten der Gedenkstätte Grafeneck.
© Bildarchiv Gedenkstätte Grafeneck
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