Erwin Keferstein

* Geboren 4. Juni 1915 (Szczecin) - Gestorben 17. Dezember 1943
Porträt von Erwin Keferstein
Der 18-jährige Erwin Keferstein zieht 1933 von Stettin nach Berlin, um das Modezeichnen zu erlernen. Er wird 1934 als Homosexueller von der Gestapo verhaftet und inhaftiert. Am 3. Februar 1937 wird Erwin vor Gericht auf Grundlage des §175 zu zwei Jahren Haft verurteilt. Man entlässt ihn jedoch, weil er seit seiner Verhaftung bereits 26 Monate in Konzentrationslagern eingesperrt war. 1942 soll er wegen einer Beziehung zu einem Mann erneut angeklagt werden. Doch vorher wird Erwin an die Front eingezogen, wo er am 17. Dezember 1943 vor Leningrad ums Leben kommt.
  • 4. Juni 1915
    Geburt
  • 1933
    Ausbildung
  • 1934
    Konzentrationslager
  • Oktober 1942
    Krieg
  • 17. Dezember 1943
    Tod
Symbolbild Kapitel 1
Kapitel 1
Erwin hatte andere Talente, Schule war eben nicht sein Ding.

Als Erwin mit 15 die Schule abbrach, war das für ihn kein Weltuntergang. Er wusste nämlich genau, was er werden wollte: Modezeichner. Davon hatte er schon lange geträumt. Seine schulischen Leistungen dagegen konnten sich kaum sehen lassen. Erwin war kein sehr fleißiger Schüler.

Zunächst hatte er das Gymnasium in seiner Heimatstadt Stettin besucht, doch bald schon musste er auf eine Realschule wechseln. Nach der neunten Klasse begann Erwin schließlich eine Lehre bei einem Damenschneider. Drei Jahre lang lernte er in den Modesalons Falk und Lobel das Schneiderhandwerk und schloss seine Ausbildung mit »gut« ab.

Hier wurde Erwin am 4. Juni 1915 geboren
Der Stettiner Hafen auf einer Postkarte von 1914
Postkarte von Stettin, um 1914

In Stettin, das heute zu Polen, aber damals zum Deutschen Reich gehörte, wuchs Erwin als ältester von drei Brüdern zunächst in wohlhabenden Verhältnissen auf. Sein Vater war Architekt und seine Mutter hatte ein eigenes Hutgeschäft.

Doch in der Weltwirtschaftskrise hatte Erwins Vater viel Geld verloren und die Familie Keferstein musste in ein anderes, ärmeres Viertel der Stadt umziehen. Seitdem waren Erwins Eltern die meiste Zeit mit ihrer Arbeit beschäftigt und die drei Brüder oft auf sich gestellt. Vor allem Erwin war viel allein unterwegs. Im Sommer war er oft im beliebten Strandbad Waldowshof.

Vielleicht wurde hier Erwins Leidenschaft für Mode geweckt

Das Damenputzgeschäft von Else Keferstein
Das Damenputzgeschäft von Else Keferstein in der Reifschlägerstraße 5 in Stettin

Erwins Mutter Else war Inhaberin eines Damenputzgeschäftes. Der Begriff »Damenputz« ist eine alte Bezeichnung für eine Person, die Kopfbedeckungen für Frauen herstellen. Hüte für Männer wurden von Hutmacher/-innen hergestellt. Sicherlich war auch Erwin oft in dem Geschäft seiner Mutter und kannte das Handwerk gut.

Dieses Schwimmbad besuchte Erwin im Sommer oft - und machte neue Erfahrungen

Im Schwimmbad Waldowshof lernte Erwin neue Freund/-innen kennen und machte wohl auch seine ersten homosexuellen Erfahrungen. Immer deutlicher merkte Erwin, dass er sich mehr zu Jungen als zu Mädchen hingezogen fühlte. Dies offen zuzugeben, war zur damaligen Zeit eigentlich ausgeschlossen. Denn die Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Homosexuelle.

Doch eines Tages platzte zu Hause die Bombe: Es kam heraus, dass Erwin im Schwimmbad erste sexuelle Erfahrungen gesammelt hatte – und zwar nicht mit Mädchen, sondern mit Jungs. Sein Vater war außer sich. Sofort bekam der 15-Jährige »strengsten Hausarrest« für ein ganzes Jahr. Diese Information ist zumindest in einem wenige Jahre später verfassten Bericht des Stettiner Jugendamts enthalten.

Foto Strandbad Waldowshof
Das bei den Stettiner/-innen beliebte Strandbad Waldowshof, vor 1945

Erwins Vater lobte sein Zeichentalent

Porträtbild von Albert Keferstein
Erwins Vater Albert Keferstein

Erwins Vater Albert war ein bekannter Architekt. Er war schon früh in die NSDAP eingetreten und teilte die nationalsozialistischen Ideen. Erwins Sexualität war daher in den Augen seines Vaters ein ernstes Problem. Doch er liebte seinen Sohn, hielt ihn für einen phantasievollen Jungen und lobte sein zeichnerisches Talent.

Jungen und Männer sollten damals aber nicht kreativ, verträumt oder sensibel, sondern sportlich und kämpferisch sein. Erwins jüngere Brüder entsprachen diesen Vorstellungen wahrscheinlich eher. So ist in einem Bericht des Jugendamtes Stettin vom Sommer 1936 zu lesen, dass »Erwins Brüder von anderem Schlage [seien], der ältere ist bei den Fliegern und war bereits 1931 in der HJ, der andere geht noch zur Schule und ist Jungschaftsführer«.

Erwin selbst war nicht in der Hitlerjugend und trat auch nie in die NSDAP ein.

Symbolbild Kapitel 2
Kapitel 2
Erwin feierte wilde Partys bis in den nächsten Tag hinein.

Nach dem Abschluss seiner Ausbildung hatte Erwin keine Arbeit gefunden und wusste nicht, was er tun sollte. Er wurde älter und älter, lebte aber immer noch bei seinen Eltern. Nach und nach reifte in ihm ein Plan: Er wollte in die Modemetropole Berlin ziehen und dort als Modezeichner arbeiten.

Viele Homosexuelle zogen wie Erwin nach Berlin. In der Großstadt fiel man weniger auf und hatte daher mehr Freiheiten. So entstanden dort Cafés, Bars und Clubs für Schwule und Lesben. An diesen Treffpunkten musste man sich nicht verstellen und konnte Gleichgesinnte kennen lernen.

Das ist das einzige Foto von Erwin
Porträtbild von Erwin Keferstein
Dieses Foto von Erwin entstand wahrscheinlich während seiner Ausbildungszeit in Berlin.

Im Oktober 1933 zog Erwin endlich nach Berlin. Er teilte sich zunächst ein kleines Zimmer mit einem Musikstudenten. Einen Monat später zog er jedoch zu seiner Tante, der Baronin von Gleichen. Berlin war damals, mehr noch als heute, eine bedeutende Modestadt. Erwin verdiente seinen Unterhalt, indem er Modezeichnungen anfertigte. Später besuchte er eine Modeschule in Berlin-Friedrichshain, denn er wollte seinen Traum, Modezeichner zu werden, unbedingt wahr machen.

Erwin ging immer öfter feiern

In seiner Freizeit traf sich Erwin mit seinen Freund/-innen in Cafés und Tanzlokalen. Über einen Freund lernte er schließlich die 23-jährige Prinzessin Ellen Ingeborg von Bentheim kennen. Sie war wohlhabend und feierte rauschende Feste. Immer öfter besuchte Erwin ihre Partys, an denen auch viele Kunstinteressierte und Personen aus höheren gesellschaftlichen Kreisen teilnahmen.

Das Berliner Eldorado war ein Treffpunkt für Homosexuelle

Das Eldorado in Berlin-Schöneberg, Fotografie von 1923
Die Aufnahme zeigt das Eldorado in der Motzstraße/Ecke Kalkreuthstraße in Berlin-Schöneberg 1932. Über dem Eingang hängt ein Schild mit der Aufschrift »Hier ist’s richtig« zwischen den Bildern eines Mannes und einer Frau.
Die Berliner Lesben- und Schwulenszene

Zahllose Clubs, Theater und Treffpunkte zogen Homosexuelle in die deutsche Hauptstadt. Sie gründeten Verlage, Vereine und Zeitschriften, die sich an Gleichgesinnte richteten. Zwar blieb auch in der Zeit der Weimarer Republik ein Gesetz in Kraft, nach dem Geschlechtsverkehr zwischen Männern strafbar war, doch verfolgte die Polizei es nicht mehr mit besonderer Härte. Es gab zwar weiterhin Kontrollen, Diskriminierung und auch Gewalt, aber in Berlin konnte sich eine vielfältige homosexuelle Kulturszene entwickeln.

Verfolgung von Homosexuellen durch die Nationalsozialisten

Für die Nationalsozialisten galten Homosexuelle als minderwertige Menschen. Sexualität sollte zwischen Mann und Frau stattfinden und zu Kindern führen. Schwule Männer wurden ab 1934 immer stärker ausgegrenzt und verfolgt. Sie wurden verhaftet, von Gerichten verurteilt und in Gefängnissen oder Konzentrationslagern inhaftiert. Weil man glaubte, dass Homosexualität vererbt würde, wurden viele auch zwangssterilisiert.

Lesbische Frauen traft die Verfolgung weniger hart. Aber auch sie wurden von der Polizei ausspioniert, ihre Zeitschriften und Vereine wurden verboten und ihre Lokale geschlossen.

Sogar die Presse im Ausland berichtete über die Partys der Prinzessin Bentheim

Das Pariser Tageblatt berichtete in mehreren Artikeln vom Dezember 1934 von den »Teegesellschaften« der Prinzessin Bentheim. Dabei handelte es sich keineswegs um nachmittägliche Plauderstündchen, sondern um ausgelassene Partys, an denen auch viele schwule Männer teilnahmen.

Ein Zeitungsartikel über Prinzessin Bentheim
Das Pariser Tageblatt, eine von ausgewanderten Deutschen herausgegebene Exilzeitung, berichtete am 23. Dezember 1934 vom »Treiben der Gräfin Bentheim«. Das Pariser Tageblatt verstand sich als Oppositionszeitung und berichtete dementsprechend negativ über das nationalsozialistische Deutsche Reich. Dabei verfügten die Redakteure nicht immer über die genauen Fakten und gaben beispielsweise auch Vorurteile gegenüber Homosexuellen wieder.
Das Ende der wilden Partys

Ob eine dieser Feiern tatsächlich von der Polizei gesprengt wurde, wie der Artikel es beschreibt, ist nicht bekannt. Das Pariser Tageblatt berichtete nicht immer zuverlässig und durchaus mit Sensationslust. Sicher ist aber, dass die Prinzessin Bentheim am 4. Dezember 1934 von der Polizei vorgeladen und verhört wurde. Wie es dazu kam, erfährst Du im nächsten Kapitel.

Beim Verhör soll sie die Namen ihrer homosexuellen Bekannten preisgegeben haben. Möglicherweise wurden auch ihre Adressbücher beschlagnahmt. Eine Welle von Durchsuchungen begann. Verhaftungen und Einweisungen in Konzentrationslager folgten.

Wer war die Prinzessin Bentheim eigentlich?

Scherenschnitt einer Frau mit Hut
Von der Prinzessin Bentheim gibt es kein offizielles Foto.

Ellen Ingeborg Sophie Henriette Prinzessin zu Bentheim und Steinfurt wurde am 24. April 1911 in Brüssel geboren. Ihr Vater, Prinz Eberwyn zu Bentheim und Steinfurt, stammte aus einer der ältesten deutschen Adelsfamilien. 1906 hatte er Ellens Mutter Lili geheiratet. Das war damals ein Skandal. Denn Lili war nicht adelig und die Beziehung zwischen ihr und dem Prinzen damit nicht »standesgemäß«.

Als sich ihre Eltern nach acht Jahren Ehe trennten, zog Ellen zu ihrer Mutter. Sie lebte von dem Geld, das sie monatlich von ihrem Vater und ihrer Großmutter bekam. Offensichtlich reichte das aus, um ihre Freund/-innen des Öfteren zu rauschenden Festen einzuladen.

Eine Weile, nachdem die Polizei den Partys eine Ende gesetzt hatte, gab sie ihren Adelstitel auf, als sie einen nicht adeligen Mann heiratete. Mehr ist über sie nicht bekannt. Sie starb mit nur 43 Jahren am 12. September 1954 in Biberach an der Riß in Baden-Württemberg.

Symbolbild Kapitel 3
Kapitel 3
Erwin saß plötzlich in einer Zelle.

Die Nationalsozialisten verfolgten schwule Männer ab 1934 verstärkt. Es wurde immer gefährlicher, als homosexuell verdächtigt zu werden. Während einer der zahlreichen Durchsuchungen von homosexuellen Treffpunkten wurde Erwin am 1. Dezember 1934 abends verhaftet. Zusammen mit anderen Gästen des Lokals brachte man ihn zunächst zum Verhör in die Zentrale der Gestapo in die Prinz-Albrecht-Straße.

In dieses Gebäude verschleppte man Erwin
Foto des Berliner Gestapoamtes
Das Geheime Staatspolizeiamt in der Prinz-Albrecht-Straße 8 in Berlin. Hier wurden Homosexuelle nach ihrer Verhaftung in Berlin stundenlang festgehalten und verhört.

Hier mussten die Gefangenen bis zu zwölf Stunden mit dem Gesicht zur Wand stehend im Flur warten. Hinsetzen war verboten, es gab weder etwas zu essen noch zu trinken, nicht einmal ein Toilettengang war gestattet.

Erwin leugnete anfangs die ihm vorgeworfenen »Straftaten«. Er wollte keinen seiner Bekannten verraten. Doch die Gestapo war bei den Verhören nicht zimperlich. Massive Einschüchterungen und Folter waren an der Tagesordnung.

Was geschah im Gestapogefängnis?

Porträtbild Kurt von Ruffin
Der schwule Schauspieler und Opernsänger Kurt von Ruffin lebte ebenfalls in Berlin. Auch er wurde – wie Erwin – Ende 1934 wegen seiner Homosexualität festgenommen. Ob sich die beiden gekannt haben, ist unbekannt. Sie haben aber in denselben Künstler/-innen- und Schauspieler/-innenkreisen verkehrt. Nach ihrer Verhaftung waren sowohl Kurt als auch Erwin etwa zur gleichen Zeit in den Konzentrationslagern Lichtenburg und Columbia-Haus eingesperrt.

Seine Haftzeit im Gestapogefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße hat Kurt von Ruffin in seinen Erinnerungen festgehalten.

Kurt von Ruffin berichtet:

»Zuerst wurde ich in die Prinz Albrecht-Straße geschleppt, in die Keller dieses Torturhauses. Ich hörte Schreie aus den Zellen. Ich war in einer Einzelzelle eingesperrt, dann wurde ich hinauf¬gejagt in den dritten Stock. Da war dann ein Ungeheuer von Kommissar, er hieß Posbischil, er ist hoffentlich verreckt – und der schrie mich gleich an: ›Bleiben Sie stehen! Hinsetzen gibt's nicht!‹ […]

Im Gegensatz zu anderen bin ich nie geprügelt worden. Man hat mich nie angerührt. Nie. Natürlich hat man seelische Qualen durchgemacht, das ist ja ganz klar. Das ist ja selbstverständlich, weil man mit Gefängnis und so etwas überhaupt nichts zu tun hatte, auch gar nichts getan hatte, um ins Gefängnis zu kommen. Man war ja kein Verbrecher. Man war lediglich von der Natur so gebaut. […]

Die erste Vernehmung hat eine Stunde gedauert, dann wurde ich runtergejagt, wieder in den Keller von dieser Prinz-Albrecht-Straße. Ich war in einer Einzelzelle, wo ständig Licht brannte. Es gab keinen Stuhl, nur eine Pritsche ohne Stroh. Setzen durfte man sich nicht, sonst wurde man angeschrien. Auch wurde durch ein Loch beobachtet.«

Bis ins kleinste Detail ausgefragt

Erwin gab schließlich die Namen seiner schwulen Bekannten preis. Er musste nicht nur die Namen seiner Partner nennen, sondern auch detaillierte Einzelheiten über seine sexuellen Erfahrungen erzählen, die genau notiert wurden. Sie füllten zahlreiche Seiten der Akten der Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin. Erwin wurde außerdem vorgeworfen, sich von einigen Männern für Sex bezahlt haben zu lassen.

Gegenüber der Gestapo nannte Erwin auch den Namen der Prinzessin Bentheim, die daraufhin vorgeladen wurde. Sie erschien am 4. Dezember 1934 in der Gestapo-Zentrale und gab die Namen und Adressen ihrer Bekannten an: Insgesamt rund siebzig Personen. Eine Welle von Durchsuchungen und Verhaftungen war die Folge.

Warum verriet die Prinzessin Bentheim ihre Bekannten?

Zeitungsartikel über die Verfolgung von Homosexuellen
Artikel des Pariser Tageblatts vom 28. Februar 1935 (die Zeitung erschien einen Tag nach der Meldung) mit Mutmaßungen über angebliche Beweggründe der Prinzessin Bentheim

Bei ihrem Verhör gab die Prinzessin an, keiner politischen Partei anzugehören. Jedoch bezeichnete sie sich selbst als »förderndes Mitglied der SS«, die sie »durch die Zahlung der entsprechenden Beiträge« unterstütze.

Was die Prinzessin dazu bewog, ihre Bekannten zu verraten, ist jedoch unklar. Vielleicht hatte sie auch selbst Angst vor der Gestapo. Soweit bekannt ist, wurde sie allerdings nicht verhaftet und durfte nach dem Verhör wieder gehen.

Einige der Männer, die bei den Razzien 1934 verhaftet wurden, konnten sich später an die Prinzessin erinnern.

Der ehemalige Häftling Hans Grafe erklärt:

»Da gab es eine Frauensperson hier, die hieß Prinzessin Bentheim. Die sammelte Schwule um sich. Und diese Frau hatte selber Freude an Schwulen, und brachte die zusammen und so, und die war da im Mittelpunkt. Sie wurde eines Tages verhaftet und man fand ihr Adressenbüchlein, und ich stand auch darin. Und da wurde ich abgeholt, früh am Morgen.«

Sich zu verlieben konnte ins Gefängnis oder Konzentrationslager führen

Im Deutschen Reich war Sex zwischen Männern bereits seit der Reichsgründung 1871 per Gesetz verboten und stand unter Strafe. Doch das reichte den Nationalsozialisten nicht aus. Im Juni 1935 wurde der Paragraph 175 ausgeweitet: Nun sollte jede Form von »Unzucht« bestraft werden. Das schloss einen Kuss, eine Berührung und sogar »wollüstige« Blicke mit ein.

Auch wenn Erwin sich in einen gleichaltrigen Mann verliebte und sich aus eigenem Wunsch mit ihm traf, war das nun strafbar. Das Verhalten der Verliebten konnte fortan mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden.

Der Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuches
Dies ist der Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuches im Wortlaut. Jegliche sexuelle Handlungen zwischen Männern wurden damit kriminalisiert.
Razzien und Verhaftungen

Die Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung unter Leitung des Geheimen Staatspolizeiamtes legte eine Homosexuellenkartei an, in der jede Anzeige und jeder Verdacht vermerkt wurde. Viele Menschen gingen auf Grund von Vorurteilen oder aus persönlicher Feindschaft zur Polizei und zeigten Bekannte als homosexuell an. Das traf auch Menschen, die gar nicht schwul oder lesbisch waren.

Auch ein bekannter Nationalsozialist war schwul

Fotografie von Ernst Röhm
Ernst Röhm 1931 in der Uniform der SA

Dabei handelte es sich um Ernst Röhm, den Chef der Sturmabteilung (SA) der NSDAP. Seine Kampftruppe war mächtig, sie terrorisierte und ermordete politische Gegner/-innen. Röhms Homosexualität war schon länger bekannt, wurde aber von Adolf Hitler geduldet. Doch 1934 beschloss die oberste nationalsozialistische Führung, Röhm und andere hohe SA-Mitglieder zu ermorden. Die SA war ihnen zu mächtig geworden und sie wollten die Konkurrenz aus dem Weg räumen. Hitler selbst befahl im Juni 1934 Röhms Ermordung.

In der Öffentlichkeit wurden die Morde mit dessen Sexualität gerechtfertigt: Von einer »homosexuellen Verschwörung« gegen den Staat war die Rede. Es folgten Razzien zur Zerschlagung der Homosexuellenszene. Bis zu eintausend schwule Männer wurden bis Mitte 1935 in sogenannte »Schutzhaft« genommen. Das heißt, sie wurden ohne Haftbefehl und ohne Anspruch auf ein Gerichtsverfahren auf unbegrenzte Zeit eingesperrt.

Symbolbild Kapitel 4
Kapitel 4
Erwin bangte um sein Leben, denn die Beurteilungen durch die Polizei waren niederschmetternd.

Erwin blieb einen Monat lang in Haft und wurde immer wieder verhört. Doch er war weder offiziell festgenommen noch einem Richter vorgeführt worden. Eine Anklage gegen ihn gab es nicht. Wie war das möglich?

Ein solches Vorgehen der Gestapo war keineswegs ungewöhnlich. Mit der »Schutzhaft« konnte sie Personen willkürlich, ohne Haftbefehl und auf unbegrenzte Zeit einsperren. Auch das Recht auf einen Anwalt hatten die Betroffenen nicht. Sie wussten also nicht, wie lange sie eingesperrt bleiben würden oder ob sie überhaupt Hoffnung auf eine Entlassung haben konnten.

Im Konzentrationslager Lichtenburg

Im Januar 1935 – über vier Wochen nach seiner Verhaftung – wurde Erwin in das KZ Lichtenburg bei Torgau gebracht. Erwin war nicht der einzige Homosexuelle, der dort eingesperrt war. Viele schwule Männer, die in Berlin festgenommen worden waren, wurden anschließend für mehrere Monate in das KZ Lichtenburg gebracht.

Dort wurden sie sehr schlecht behandelt. Alle homosexuellen Männer mussten eine gelbe Beinbinde mit dem Buchstaben »A« darauf anlegen.

Beinbinde
Das »A« auf dieser Beinbinde stand laut der Aussage einiger Überlebender für »Arschficker«. Viele der homosexuellen Häftlinge wollten nicht mit diesem Schimpfwort bezeichnet werden. Sie erfanden andere Varianten für das Kürzel, etwa »Arbeitserziehungshäftling« oder, bei Freigängen, »Ausgang«. Erst 1938 wurden in allen Konzentrationslagern einheitliche Häftlingskennzeichnungen eingeführt. Homosexuelle trugen ab diesem Zeitpunkt einen rosa Winkel.
Ein ehemaliger Gefangener, Kurt von Ruffin, kann sich an diese Demütigung genau erinnern:

»Wir hatten scheußlich alte Gendarmerieuniformen an, schwarze Hosen und blaue Jacken und um das Bein herum eine gelbe, nicht violette, wie es oft heißt, wir hatten eine gelbe Binde, auf der ›A‹ stand. Sie werden sich vielleicht vorstellen können, was das heißt, das heißt eben Arschficker.«

Erwin musste ein halbes Jahr im KZ Lichtenburg bleiben und die Gewalt des Wachpersonals ertragen. Die SS-Männer schikanierten die homosexuellen Gefangenen, wo sie nur konnten. Sie ließen sie auf dem Hof strafexerzieren, teilten Schläge aus und schreckten auch vor Mord nicht zurück.

Hier erfährst Du mehr über das Leben im KZ Lichtenburg

Blick in die ehemaligen Schlafsäle auf dem Dachboden des KZ Lichtenburg
Das Garagen- und Werkstattgebäude der Lichtenburg (erbaut 1908). Hier ist heute die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Lichtenburg untergebracht.
Das Zellengebäude, erbaut 1878/79
Foto des Konzentrationslagers im alten Schlossbereich

Die Gefangenen kamen mit Lastwagen vom Berliner KZ Columbia-Haus in die Lichtenburg. Hier gingen die Torturen weiter:

»Wir wurden beschimpft. ›Ihr Säue!‹ etc. Man schwieg natürlich, sonst hätte man ja nichts zu lachen gehabt.«

Eingeteilt in »schwule Kompanien« wurden die Häftlinge auf dem Dachboden des Schlosses untergebracht. Im Winter wurde hier nur manchmal mit kleinen Öfen geheizt:

»Ich weiß nur, daß wir im Dachboden bei eisiger Kälte schlafen mußten mit einer Decke.«

Zum Häftlingsalltag gehörte auch das Strafexerzieren. Stundenlang wurde bei eisiger Kälte in dünner Kleidung der »Strafsport« betrieben. Kniebeugen, auf den Ellenbogen über den unebenen Schlosshof robben oder Treppensteigen, bis man zusammenbrach:

»Dort im Hof wurden wir mit Exerzieren geschunden. Die Pfeife, die den Rhythmus dieses Exerzierens angab, werde ich nie aus meinem Gedächtnis verlieren. Das war die größte Qual, die es gab.«

Am schlimmsten behandelte die SS jene Häftlinge, die in ihren Augen nicht »männlich« genug wirkten. Ein Menschenleben hatte für sie keinen Wert:

»Unten im Hof mußte man dann erleben, daß Transvestiten, die gebracht wurden, die zwangsweise als Frauen reisen mußten, dann vor allen ausgekleidet und geprügelt wurden, gestoßen und geschunden, bis sie nackt waren. Die Bonzen, die SS-Schergen haben sich an der Verzweiflung dieser Menschen geweidet. Einer von ihnen – ich weiß nicht, wie er hieß – wurde zur Strafe in die Latrine, die unten war, mit dem Kopf in die Kloake gestoßen und erstickte da unten.«

Als Transvestiten und Transvestitinnen wurden damals zum Beispiel Menschen bezeichnet, die gerne die Kleidung des anderen Geschlechts trugen, und transgeschlechtliche Personen. »Transgeschlechtlich« oder »transgender« bedeutet, dass eine Person sich nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das die Gesellschaft ihr zugewiesen hat.

Die wochen- oder monatelange »Schutzhaft« war für die Häftlinge schrecklich und zeichnete sie oft für ihr ganzes Leben:

»Das ist Folter und das Schlimmste am KZ, was ich je erlebt habe. Die Ahnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit, was mit uns geschehen wird. Wir erlebten bloß immer dieses Hin und Her, wenn die von der Vernehmung wieder zu¬rückkamen. Sie waren dann dreimal so blaß, weil sie dann dort womöglich geprügelt wurden.«

Außer Erwin saßen im KZ Lichtenburg noch viele andere Schwule

Statistik
Auflistung der vom 11. Mai bis 10. Juni 1935 länger als sieben Tage inhaftierten Schutzhäftlinge.

Die Auflistung gibt die Zahl der reichsweit gefangenen Schutzhäftlinge vom 10. Mai bis 10. Juni 1935 an. Dabei wird zwischen »politischen« und »homosexuellen« Häftlingen unterschieden. Insgesamt waren im Deutschen Reich 513 Männer wegen des Vorwurfs der Homosexualität in »Schutzhaft« genommen worden.

Bis zum 10. Juni wurden hundert von ihnen wieder entlassen, 88 befanden sich entweder im KZ Columbia-Haus oder in Gefängnissen. Der Großteil, nämlich 325 Menschen, war im KZ Lichtenburg inhaftiert, fast die Hälfte aller dort Gefangenen, unter ihnen auch Erwin. Sie alle saßen nur aus einem einzigen Grund in Haft: Weil sie schwul waren oder dafür gehalten wurden.

Erwin wurde im Gefangenentransporter zu den Verhören gebracht

Schließlich brachte die SS Erwin in das KZ Columbia-Haus in Berlin. Im Juni 1936 – eineinhalb Jahre nach seiner Verhaftung – wurde erstmals Anklage gegen ihn erhoben. Erwin wurde auf der Grundlage des Paragraphen 175 »widernatürliche Unzucht mit Männern« vorgeworfen.

Von Erwin sind keine Erinnerungen an seine Haftzeit überliefert. Einen Einblick in die damaligen Zustände im KZ Columbia-Haus und im KZ Lichtenburg gibt ein Mitgefangener Erwins, der Schauspieler Kurt von Ruffin, in einem Interview mit Winfried Kuhn aus dem Jahr 1978.

Foto eines Gefangenentransporters der Gestapo
Mit solch einem Gefangenentransporter wurden die Häftlinge aus dem KZ Columbia-Haus zu weiteren Verhören in die Berliner Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Straße 8 gebracht.
Kurt von Ruffin berichtet:

»Da waren natürlich nur Homosexuelle, und wir wurden zusammen in die Zellen gesperrt. Ich hatte das Glück, mit einem sehr netten Burschen, der später im Krieg fiel, zusammen in einer Zelle zu sein, und die SS hat uns da bewacht. Es war die größte Seelenqual, die es gab, weil man nicht wußte, was mit einem wird. Immer wieder wurden wir dann rübertransportiert zur Vernehmung in die Prinz-Albrecht-Straße. Und einmal, in einem Ge-fängniswagen, wo die SS-Leute zwischen uns standen, saß ich neben dem Jungen, der mich angezeigt hatte, ein Junge aus bestem Haus, dessen Großvater einer der berühmtesten Industriellen aus dem Rheinland war, und ein Geldgeber von Herrn Hitler. Ich konnte mich mit ihm verständigen und bekam mit, daß er es war, der mich denunziert hatte. Das war meine Rettung, denn nun konnte ich bei Vernehmungen, wenn sein Name drankam, sagen, ja, mit dem hatte ich etwas. So konnte ich viele andere, mit denen ich etwas hatte und nach denen ich gefragt wurde, ableugnen, und man hat mir geglaubt. […]

Wir haben uns schon verständigen können, aber wir waren ja alle so ratlos. Keiner konnte dem anderen irgend etwas raten, wir wußten ja nichts, es war uns ja alles neu. Natürlich sah ich die anderen. Ich traf viele Bekannte, das ist ganz klar.«

Erwins Beurteilung durch Jugendamt und Polizei war niederschmetternd

Kurz bevor Anklage gegen Erwin erhoben wurde, erstellte ein Beamter der Jugendgerichtshilfe erneut ein Gutachten über ihn. Erwin war zu diesem Zeitpunkt noch keine 21 Jahre alt und galt nach damaligem Recht als minderjährig. Dennoch hatten die Nationalsozialisten ihn wegen seiner Homosexualität bereits über eineinhalb Jahre lang in unterschiedlichen Gefängnissen und Konzentrationslagern eingesperrt.

Fürsorgebericht
Fürsorgebericht der Jugendgerichtshilfe Berlin, 1936

Auch in dem Bericht wurde Erwin äußerst negativ beurteilt: Er sei »nicht mehr irgendwie zu beeinflussen […] und ist m.E. als einer der Menschen anzusehen, die aus Hang zum Wohlleben sich im Sumpf wohlfühlen«. Seine Sexualität also wurde also abwertend als »Sumpf« beschrieben und er selbst als »unverbesserlich« angesehen.

Das Gericht sprach ihn am 3. Februar 1937 schuldig und verurteilte ihn zu zwei Jahren Haft. Da Erwin aber zu diesem Zeitpunkt schon über 26 Monate in »Schutzhaft« gesessen hatte, wurde seine Strafe als verbüßt angesehen. Er wurde endlich entlassen!

Symbolbild Kapitel 5
Kapitel 5
Erwin hatte auch nach der Entlassung keine Ruhe.

»Unser Leben war durch die ganze Aktion natürlich zum großen Teil verdorben, das ist ganz klar. […] Wir mußten ungeheuer aufpassen« – so erinnert sich ein Mithäftling von Erwin, der zur gleichen Zeit wegen seiner Homosexualität festgenommen wurde, an die Zeit nach seiner Entlassung.

Auch Erwin hatte im Februar 1937 seine Haft verbüßt und war wieder auf freiem Fuß. Doch ein unbeschwertes Leben konnte er nicht mehr führen. Er stand unter ständiger Beobachtung durch die Gestapo und musste sich vor Spitzeln und Denunziationen fürchten. Jede Annäherung zwischen zwei Männern konnte die Polizei als Anlass für eine Verhaftung nutzen. Für eine Anklage reichte bereits ein »falscher« Blick, eine Umarmung oder eine Geste.

Erwin wurde weiterhin verfolgt, egal was er tat
Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939

Immer wieder wurde Erwin festgenommen und zu Verhören abgeholt. Dabei beteuerte er seine Unschuld und schwor, seit seiner Entlassung keine sexuellen Kontakte zu anderen Männern gehabt zu haben. Viele Homosexuelle versuchten sich so zu schützen – doch die Gestapo interessierte das wenig.

1942 drohte Erwin erneut eine Haftstrafe wegen »Unzucht zwischen Männern«. Möglicherweise ließ Erwins Vater, der selbst Mitglied in der NSDAP war, seine Kontakte spielen, denn die Anklage wurde fallengelassen und Erwin musste nicht ins Gefängnis. Doch stattdessen wurde er im Oktober 1942 als Soldat an die Front geschickt.

Erwin stirbt in Russland

Während sich die deutsche Armee bereits auf dem Rückzug befand, wurde Erwin als Verpflegungsunteroffizier in einem Infanterieregiment eingesetzt. Nach Einsätzen in Frankreich und Dänemark war seine Einheit zuletzt im Norden Russlands stationiert. Erwin gewöhnte sich schnell an den Dienst in der Wehrmacht und auch sein Hauptmann war mit ihm zufrieden.

Doch am 17. Dezember 1943 wurde Erwins Einheit in der Nähe von Leningrad von Partisan/-innen angegriffen. Um 3.20 Uhr morgens trafen Erwin zwei Schüsse. Er war sofort tot. Seine Kameraden begruben ihn auf einem deutschen Soldatenfriedhof in der russischen Stadt Luga. Erwin wurde 28 Jahre alt.

Erwins Vorgesetzter bei der Wehrmacht schrieb einen Brief an Erwins Mutter

Der Brief an Erwins Mutter
Brief des Hauptmanns Westphal an Else Keferstein vom 22. Dezember 1943, um ihr den Tod ihres Sohnes mitzuteilen und ihr sein Beileid auszusprechen. Im Brief nennt Hauptmann Westphal Erwin bei seinem zweiten Namen: Herbert.

So trauerte Erwins Familie um ihn

Todesanzeige für Erwin Keferstein
Todesanzeige Erwin Kefersteins. Die Zeitung, in der die Anzeige erschien, ist, wie auch das Datum, unbekannt.

Erwins Familie setzte diese Anzeige in die Zeitung, um des toten Sohns und Bruders zu gedenken. Darin wird besonders Erwins Soldatentod hervorgehoben und auch von »Bandenkämpfen im Osten« ist die Rede.

Erwins Vater Albert war Mitglied der NSDAP und passte sich dem damaligen Sprachgebrauch an. In der nationalsozialistischen Propaganda sprach man nämlich nicht von Partisanenangriffen, sondern bezeichnete diese als »Bandenkämpfe«. So klang es, als seien die Gegner/-innen des Deutschen Reiches »kriminelle Banden«.

Erwins Familie hat die Anzeige über Jahrzehnte hinweg aufgehoben und sie der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zur Verfügung gestellt.

Das ist lange her?

Dokument Aberkennung
Auch nach 1945 blieben sexuelle Handlungen zwischen Männern lange Zeit durch ein Gesetz verboten. In der DDR war dies durch den Paragraphen 151 festgeschrieben.

Männer, die im Nationalsozialismus wegen Homosexualität verfolgt worden waren, wurden nicht als Opfer des Faschismus anerkannt. Sie waren – aus Sicht des Staates – nach dem Paragraphen 175 »rechtmäßig« verurteilt worden und hatten keinerlei Anrecht auf Entschädigungen für das von ihnen erlittene Unrecht.
Die Geschichte des § 175

Nur sehr langsam wurde Homosexualität als gleichberechtigte Sexualität anerkannt. In der DDR wurde 1950 die nationalsozialistische Verschärfung des Paragraphen 175 außer Kraft gesetzt. Danach wurde er schrittweise abgemildert und 1988 ganz gestrichen.

In der BRD erfolgte erst 1969 eine Reform des strikten Verbots aus der Zeit des Nationalsozialismus. In bestimmten Fällen war Homosexualität zwischen Männern aber immer noch verboten. Der Paragraph wurde erst 1994 aus dem Gesetzbuch gestrichen.

Homosexuelle, die während der Zeit des Nationalsozialismus verurteilt worden waren, wurden erst am 17. Mai 2002 – 57 Jahre nach Kriegsende – durch den Bundestag symbolisch rehabilitiert.

Auch nach 1945 nahm die Polizei Männer wegen ihrer Homosexualität fest. Richter/-innen verurteilten sie und einige mussten ins Gefängnis. Sie wurden erst 2017 rehabilitiert.

Erwin Keferstein

* Geboren 4. Juni 1915 (Szczecin) - Gestorben 17. Dezember 1943
Symbolbild Kapitel 1
Gespiegeltes Bild einer Schneiderpuppe in einem Zeichenatelier
© Christin Franke
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Der Stettiner Hafen auf einer Postkarte von 1914
Postkarte von Stettin, um 1914
© Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas
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Das Damenputzgeschäft von Else Keferstein
Das Damenputzgeschäft von Else Keferstein in der Reifschlägerstraße 5 in Stettin
© sedina.pl
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Foto Strandbad Waldowshof
Das bei den Stettiner/-innen beliebte Strandbad Waldowshof, vor 1945
© sedina.pl
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Porträtbild von Albert Keferstein
Erwins Vater Albert Keferstein
© Archiv Familie Keferstein
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Symbolbild Kapitel 2
Gespiegeltes Bild einer pinken Perücke
© Christin Franke
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Porträtbild von Erwin Keferstein
Dieses Foto von Erwin entstand wahrscheinlich während seiner Ausbildungszeit in Berlin.
© Archiv Familie Keferstein
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Das Eldorado in Berlin-Schöneberg, Fotografie von 1923
Die Aufnahme zeigt das Eldorado in der Motzstraße/Ecke Kalkreuthstraße in Berlin-Schöneberg 1932. Über dem Eingang hängt ein Schild mit der Aufschrift »Hier ist’s richtig« zwischen den Bildern eines Mannes und einer Frau.
© Bundesarchiv, Bild 183-1983-0121-500, Fotograf unbekannt.
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Ein Zeitungsartikel über Prinzessin Bentheim
Das Pariser Tageblatt, eine von ausgewanderten Deutschen herausgegebene Exilzeitung, berichtete am 23. Dezember 1934 vom »Treiben der Gräfin Bentheim«. Das Pariser Tageblatt verstand sich als Oppositionszeitung und berichtete dementsprechend negativ über das nationalsozialistische Deutsche Reich. Dabei verfügten die Redakteure nicht immer über die genauen Fakten und gaben beispielsweise auch Vorurteile gegenüber Homosexuellen wieder.
© Deutsche Nationalbibliothek Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main
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Scherenschnitt einer Frau mit Hut
Von der Prinzessin Bentheim gibt es kein offizielles Foto.
© gemeinfrei
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Symbolbild Kapitel 3
© Christin Franke
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Foto des Berliner Gestapoamtes
Das Geheime Staatspolizeiamt in der Prinz-Albrecht-Straße 8 in Berlin. Hier wurden Homosexuelle nach ihrer Verhaftung in Berlin stundenlang festgehalten und verhört.
© Bundesarchiv Bild_183-R97512, Fotograf unbekannt
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Porträtbild Kurt von Ruffin
Der schwule Schauspieler und Opernsänger Kurt von Ruffin lebte ebenfalls in Berlin. Auch er wurde – wie Erwin – Ende 1934 wegen seiner Homosexualität festgenommen. Ob sich die beiden gekannt haben, ist unbekannt. Sie haben aber in denselben Künstler/-innen- und Schauspieler/-innenkreisen verkehrt. Nach ihrer Verhaftung waren sowohl Kurt als auch Erwin etwa zur gleichen Zeit in den Konzentrationslagern Lichtenburg und Columbia-Haus eingesperrt.
© Haus Bergmann Farb-Filmbilder
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Zeitungsartikel über die Verfolgung von Homosexuellen
Artikel des Pariser Tageblatts vom 28. Februar 1935 (die Zeitung erschien einen Tag nach der Meldung) mit Mutmaßungen über angebliche Beweggründe der Prinzessin Bentheim
© Deutsche Nationalbibliothek Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main
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Der Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuches
Dies ist der Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuches im Wortlaut. Jegliche sexuelle Handlungen zwischen Männern wurden damit kriminalisiert.
© Österreichische Nationalbibliothek
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Fotografie von Ernst Röhm
Ernst Röhm 1931 in der Uniform der SA
© Bundesarchiv, Bild 102-14393, Fotograf: Georg Pahl
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Symbolbild Kapitel 4
© Christin Franke
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Beinbinde
Das »A« auf dieser Beinbinde stand laut der Aussage einiger Überlebender für »Arschficker«. Viele der homosexuellen Häftlinge wollten nicht mit diesem Schimpfwort bezeichnet werden. Sie erfanden andere Varianten für das Kürzel, etwa »Arbeitserziehungshäftling« oder, bei Freigängen, »Ausgang«. Erst 1938 wurden in allen Konzentrationslagern einheitliche Häftlingskennzeichnungen eingeführt. Homosexuelle trugen ab diesem Zeitpunkt einen rosa Winkel.
© Sammlung Gedenkstätte KZ Lichtenburg-Prettin
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Blick in die ehemaligen Schlafsäle auf dem Dachboden des KZ Lichtenburg
Eingeteilt in »schwule Kompanien« wurden die Häftlinge auf dem Dachboden des Schlosses untergebracht. Im Winter wurde hier nur selten mit kleinen Öfen geheizt.
© Sammlung Gedenkstätte KZ Lichtenburg-Prettin
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Das Garagen- und Werkstattgebäude der Lichtenburg (erbaut 1908). Hier ist heute die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Lichtenburg untergebracht.
Die Gefangenen kamen mit Lastwagen vom Berliner KZ Columbia-Haus in das KZ Lichtenburg. Hier gingen die Torturen weiter: »Wir wurden beschimpft. ›Ihr Säue!‹ etc. Man schwieg natürlich, sonst hätte man ja nichts zu lachen gehabt.«
© Bundesarchiv, Bild Y 1-9004
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Das Zellengebäude, erbaut 1878/79
Zum Häftlingsalltag gehörte auch das Strafexerzieren. Stundenlang wurde bei eisiger Kälte in dünner Kleidung der »Strafsport« betrieben. Kniebeugen, auf den Ellenbogen über den unebenen Schlosshof robben oder Treppensteigen, bis man zusammenbrach: »Dort im Hof wurden wir mit Exerzieren geschunden. Die Pfeife, die den Rhythmus dieses Exerzierens angab, werde ich nie aus meinem Gedächtnis verlieren. Das war die größte Qual, die es gab.«
© Bundesarchiv, Bild Y 1-9007
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Foto des Konzentrationslagers im alten Schlossbereich
Die wochen- oder monatelange »Schutzhaft« war nervenaufreibend und zeichnete die Häftlinge oft für ihr ganzes Leben.
© Bundesarchiv, Bild Y 1-9008
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Statistik
Auflistung der vom 11. Mai bis 10. Juni 1935 länger als sieben Tage inhaftierten Schutzhäftlinge.
© Bundesarchiv
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Foto eines Gefangenentransporters der Gestapo
Mit solch einem Gefangenentransporter wurden die Häftlinge aus dem KZ Columbia-Haus zu weiteren Verhören in die Berliner Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Straße 8 gebracht.
© Koch-Album, Archiv des FSB Moskau
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Fürsorgebericht
Fürsorgebericht der Jugendgerichtshilfe Berlin, 1936
© A Rep. 358-02, Nr. 31987. Alle Rechte beim Landesarchiv Berlin
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Symbolbild Kapitel 5
© Christin Franke
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Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
Als Erwin 1939 erneut beschuldigt wurde, bestritt er jegliche sexuelle Beziehungen zu Männern. Seine früheren homosexuellen Kontakte stellte er als »jugendliche Dummheiten« dar und nannte sogar Frauen-Bekanntschaften, um sich glaubwürdiger zu machen. Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
© A PrBr. 358-02 Nr. 159. Alle Rechte beim Landesarchiv Berlin
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Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
Als Erwin 1939 erneut beschuldigt wurde, bestritt er jegliche sexuelle Beziehungen zu Männern. Seine früheren homosexuellen Kontakte stellte er als »jugendliche Dummheiten« dar und nannte sogar Frauen-Bekanntschaften, um sich glaubwürdiger zu machen. Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
© A PrBr. 358-02 Nr. 159. Alle Rechte beim Landesarchiv Berlin
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Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
Als Erwin 1939 erneut beschuldigt wurde, bestritt er jegliche sexuelle Beziehungen zu Männern. Seine früheren homosexuellen Kontakte stellte er als »jugendliche Dummheiten« dar und nannte sogar Frauen-Bekanntschaften, um sich glaubwürdiger zu machen. Protokoll zu einer Vernehmung Erwin Kefersteins, 1939
© A PrBr. 358-02 Nr. 159. Alle Rechte beim Landesarchiv Berlin
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Der Brief an Erwins Mutter
Brief des Hauptmanns Westphal an Else Keferstein vom 22. Dezember 1943, um ihr den Tod ihres Sohnes mitzuteilen und ihr sein Beileid auszusprechen. Im Brief nennt Hauptmann Westphal Erwin bei seinem zweiten Namen: Herbert.
© Archiv Familie Keferstein
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Todesanzeige für Erwin Keferstein
Todesanzeige Erwin Kefersteins. Die Zeitung, in der die Anzeige erschien, ist, wie auch das Datum, unbekannt.
© Archiv Familie Keferstein
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Dokument Aberkennung
Auch nach 1945 blieben sexuelle Handlungen zwischen Männern lange Zeit durch ein Gesetz verboten. In der DDR war dies durch den Paragraphen 151 festgeschrieben.

Männer, die im Nationalsozialismus wegen Homosexualität verfolgt worden waren, wurden nicht als Opfer des Faschismus anerkannt. Sie waren – aus Sicht des Staates – nach dem Paragraphen 175 »rechtmäßig« verurteilt worden und hatten keinerlei Anrecht auf Entschädigungen für das von ihnen erlittene Unrecht.
© aus: Andreas Pretzel (2002): NS-Opfer unter Vorbehalt: homosexuelle Männer in Berlin nach 1945. Münster, S. 279.
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